Die am häufigsten gegen die Malaria eingesetzten Wirkstoffe – Artemisinine – könnten laut Experten vom Wiener Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) auf ein neues Therapieprinzip gegen Typ-1-Diabetes hinweisen. Sie bewirken eine Umwandlung von Alpha-Zellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas). Statt den Blutzucker über ihre Glukagon-Produktion zu steigern, werden sie zu Insulin-produzierenden Beta-Zellen.

Die entsprechende Studie der Forschungseinrichtung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist jetzt in der Fachzeitschrift "Cell" erschienen. 15 Prozent der Zuckerkranken leiden an Typ-1-Diabetes (Insulin-abhängiger, ehemals "juveniler" Diabetes), bei dem durch Autoimmunreaktionen die Insulin-produzierenden Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse zugrunde gehen. Versuche, Stamm- oder ausdifferenzierte Körperzellen als potenzielle Therapie in solche Beta-Zellen zu verwandeln, haben bisher zu keiner neuen anwendbaren Behandlungsform geführt. Beobachtet wurde allerdings, dass sich Alpha-Zellen des Pankreas bei Mangel an Beta-Zellen offenbar in letztere umwandeln können.

Dem internationalen Wissenschafterteam unter der Leitung von Stefan Kubicek vom CeMM gelang es durch ein voll automatisiertes Testverfahren, das die Effekte zugelassener Arzneimittel-Wirkstoffe an Alpha-Zellkulturen untersucht, einen bisher völlig unbekannten Effekt der Artemisinine zu entdecken. Der Wissenschafter wurde in der Aussendung so zitiert: "Wir konnten mit unserer Arbeit zeigen, dass diese Substanzen auch das genetische Programm von Alpha-Zellen, die Glukagon-produzierenden Gegenspieler der Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse, verändern." Das erfolgt über einen "Schalter" der Alpha-Zellen, das Arx-Gen. Wird dieses Gen blockiert, wandeln sich Alpha-Zellen in Beta-Zellen um.

Mechanismen aufgeklärt

In Zusammenarbeit mit den Forschungsgruppen von Christoph Bock und Giulio Superti-Furga am CeMM und Tibor Harkany an der Medizinischen Universität Wien gelang es den Autoren, den exakten molekularen Mechanismus aufzuklären, mit dem Artemisinine die Alpha-Zellen umgestalten: Sie binden an ein Protein (Gephyrin), das sogenannte GABA-Rezeptoren aktiviert. In weiterer Folge verändern sich viele biochemische Prozesse in den Alpha-Zellen so, dass der Arx-Schalter umgelegt wird und die Zellen Insulin zu produzieren beginnen. Eine weitere Arbeit des französischen Kooperationspartners der Wiener Wissenschafter, Patrick Collombat, in derselben Ausgabe von Cell zeigt, dass im Mausmodell die Injektion von GABA zur Umwandlung von Alpha- zu Beta-Zellen auslöst und deutet damit auf denselben Wirkmechanismus der beiden Substanzen hin.

Die Wirkung der Malaria-Medikamente konnten die Forscher nicht nur in der Zellkultur nachweisen: In Zusammenarbeit mit anderen Forschungsgruppen wurde diabetischen Zebrafischen, Ratten und Mäusen der Wirkstoff verabreicht. Dadurch erhöhte sich ihre Beta-Zellmasse, ihr Blutzuckerspiegel normalisierte sich. Da die molekularen Bindungspartner von Artemisininen in Fischen, Ratten, Mäusen und beim Menschen ähnlich sind, könnten diese Effekte eventuell auch beim Menschen eintreten. Die Wissenschafter sind zuversichtlich, ein mögliches neues Ziel für zukünftige Therapien für Typ-1-Diabetes identifiziert zu haben. Das müssen dann nicht die Anti-Malaria-Wirkstoffe selbst sein, sondern eventuell Substanzen, welche diesen Mechanismus ausnützen. (APA, 2.12.2016)