Der Tod und der Oktopus: In "La Pievre" (1927) entdeckt Jean Painlevé das Leben unter Wasser als fantastisches Reich.

Foto: Mumok

Wien – Seine große Liebe galt den Seepferdchen. Doch eigentlich filmte Jean Painlevé (1902-1989) mit seiner eigens entwickelten Kamera alle Meerestierchen, die er aufstöbern konnte: Wasserflöhe, Seeigel, Krebse, Krabben – und Kraken. Painlevé war fasziniert von Details, mit seiner häufig an ein Mikroskop gekoppelten Kamera verfolgte er kleinste Bewegungen und Veränderungen. In seinem ersten Film beobachtete er die Entwicklung eines Fischeis. So viel Zeit muss sein.

Gleichzeitig war der französische Unterwasserpionier, der hauptsächlich in Aquarien meeresbiologischer Forschungsinstitute filmte, ein Grenzgänger zwischen Lehrfilm und Science-Fiction: Seine kurzen Unterwasserdramen, in denen sich die "Protagonisten" mitunter wie Balletttänzer durch die Strömung bewegen, sind bis heute von hohem künstlerischen Wert. Sie wurden von den Surrealisten ebenso geschätzt wie von einem erlesenen Kinopublikum: Painlevé spielte mit Lichtspiegelungen und -brechungen, setzte wiederholt Zeitraffer und Zeitlupe ein.

Sein Interesse galt der Sichtbarmachung des unter der (Wasser-)Oberfläche Verborgenen, das durch die Verfremdung erst zum Leben erweckt wird. Der Oktopus, dem in La Pieuvre dieserart ein neuer, künstlicher Lebensraum geschaffen wird, ist somit ein ausgesuchter Wegbereiter, mit dem sich in das Thema des vierten und letzten Teils der Filmreihe "Stranded at Schwimmen-zwei-Vögel" im Mumok eintauchen lässt.

Die sechs gezeigten Arbeiten thematisieren in unterschiedlicher Weise eine "Verwischung der Trennung von Lebensreflexion und Imitation". Sie blicken jeweils in eine Art fantastische Parallelwelt, die der Realität nicht entgegensteht, sondern eine andere Wirklichkeit darstellt, die bloß auf ihre Entdeckung wartet.

Der verfremdende Blick

Eine solche Grenzüberschreitung unternimmt auch Elizabeth Price in West Hinder, indem sie das Reale und das Fantastische zusammendenkt. Wie bei Painlevé die Unterwassertiere ein autarkes Reich bevölkern, in das zu blicken uns nur das Kameraauge ermöglicht, so gestattet auch bei Price erst der verfremdende Blick Einsicht in eine bizarre, submarine Lebenswelt.

Als 2002 der Frachter Tricolor nach der Kollision mit einem Containerschiff im Ärmelkanal sank, gingen mit ihm auch 2871 Luxusautos unter. Price versucht in ihrem Film, der die gesunkenen Karossen wie urzeitliche Artefakte aufspürt, eine besondere Art der Sichtbarmachung.

West Hinder schreibt den Luxusautos als fetischisierten Objekten ein Eigenleben zu, das sie für uns zwar unerreichbar macht, das andererseits aber unsere Wünsche und Begehrlichkeiten auf sich zieht. Price verleiht – ähnlich wie Michael Eddy den Kreditkarten im ebenfalls gezeigten Film Infinite Cruelty, for nothing – diesen beseelten Objekten Macht. Eine Macht, die sogar noch spürbar ist, wenn sie wie untergegangene Relikte aus einem anderen Zeitalter oder gar einer fremden Welt im dunklen Wasser treiben.

Auch die norwegische Fotografin und Multimedia-Künstlerin Ann Lislegaard, im Programm mit drei Arbeiten vertreten, greift in ihren auf 3-D-Animationen basierenden Filmen wiederholt Motive der Science-Fiction auf. In Oracles, Owls... Some Animals Never Sleep werden die orakelähnlichen Monologe zweier Eulen von Tönen aus Ridley Scotts Blade Runner unterbrochen.

Lislegaard greift dabei gerne auf literarische Sci-Fi-Texte zurück, in denen die Technologie für die Menschheit Fluch und Segen zugleich ist – neben Philip K. Dick und Edgar Allan Poe in Time Machine etwa auf H. G. Wells. In Dobaded Dobaded geschieht dies anhand eines Gedichts von André Breton, womit sich der surrealistische Kreis zu Jean Painlevé wieder schließt. (Michael Pekler, Spezial, 7.12.2016)