Eine Welt im Maßstab von 1:87 erstreckt sich über drei Räume eines Erdgeschoßlokals in Naschmarktnähe. Unter anderem sind darin Originalnachbauten von Häusern wie dem Goldenen Dachl in Tirol zu sehen.

Foto: APA/Hans Klaus Techt

Wien – Wenn es Abend wird, geht die Straßenbeleuchtung an. Vor einer allein stehenden Villa fahren Särge aus dem Boden und springen auf. Auf dem Jahrmarkt von Örzl blinken tausende bunte Lichter um die Wette. Und von einer Open-Air-Bühne singt Rod Stewart in die beschneite Landschaft, während 3000 LEDs Bühnenlicht und Blitzlichtgewitter imitieren. Im Miniatur-Tirolerland wird es circa alle Viertelstunden Nacht. Ein Tag hat 24 Minuten.

Seit einem Monat hat die kleine Welt in Modellbaugröße in der Franzensgasse im fünften Bezirk, unweit des Wiener Naschmarkts, von Freitag bis Sonntag, zehn bis 17 Uhr, geöffnet, und Betreiber Wolfgang Pröhl – schlank, kurze graue Haare – rührt nicht nur die Werbetrommel, sondern heißt an Besuchstagen auch im Eingangsbereich im Skihüttenstyle die Besucher willkommen.

"Ein Chef, der die Gäste begrüßt, ist immer noch das Beste", ist Pröhl, der Wiener mit der sonoren Stimme und dem rollenden "R", überzeugt. Im hellblauen Poloshirt mit Miniaturwelt-Logo, das zwei Berggipfel andeutet, preist er Besuchern Vinschgerln an und erkundigt sich, ob die Ausstellung gefallen hat. Gibt es etwas zu beanstanden, zählt er, ruhig, aber bestimmt, Gegenargumente auf. Sein Platz ist jener hinter der Theke des holzvertäfelten Gastraums mit vier Tischen, der auch als Museumsshop, Garderobe, und Ticketverkaufsstelle dient.

Vom Erfinder der Erotikmesse

Zuletzt war Pröhl Hoteldirektor, zuvor hatte er als Fotograf, Reiseleiter und Erfinder der Erotikmesse Geld verdient. Nun ist er Herr über eine ganze kleine Welt. Dass sie Tirol gewidmet ist, hat keine sentimentalen Gründe, sondern liegt daran, dass Pröhl ganz gezielt ein abgegrenztes Gebiet mit gutem Image für seine Idee gesucht hat.

Bis zu 80 Besucher können in den drei Schauräumen mit insgesamt 320 Quadratmeter Fläche eine Welt im Maßstab von 1:87 beäugen, die aus mehr als 1000 Gebäuden, 5000 Bäumen und 21.000 Figuren besteht. Durch ihren Untergrund schlängeln sich 33 Kilometer Kabel.

Kleiner als Stecknadelköpfe

Die Besucher entdecken dort eine Plastikfigurenschar, die für die "Rente mit 30" demonstriert, und zeigen auf Männer, nicht einmal halb so groß wie als Legomännchen, die beim Wohnwagen von "Gaby", Schlange stehen. Sie beugen sich über knapp einen Viertelquadratzentimeter große Obstkistchen auf dem Markt von "Wiensbruck", in denen rote Äpfel, kleiner als Stecknadelköpfe, auf Käufer warten. Züge rollen durch Tunnel, während Blaulichtwagen über Straßen kurven.

Miniatur-Sponsorenlogos

Pröhl kam die Idee zum Miniaturland bei einer Schlauchbootfahrt in Alaska. 1997 begab er sich auf Standortsuche. Sie sollte ihn quer durch Österreich führen. Vor fünf Jahren wurde er fündig. Er castete Freiwillige als helfende Tüftler, die das Miniaturland über Jahre aufbauten, und trieb Sponsoren für Miet- und Materialkosten in der Höhe von 180.000 Euro auf. Die Logos seiner Geschäftspartner picken auf Tankstellen, Lokalen und Plakaten seiner Miniaturwelt. Pröhl investierte selbst 100.000 Euro und bastelte ebenfalls mit – "diese Baumgruppe da zum Beispiel", sagt er und deutet auf einen Hügel. Vor allem aber vermarktet er das Projekt.

Zu tüfteln war auch nach der Eröffnung noch viel: Die Steuerung der Züge und Fahrzeuge machte den Miniaturfreunden noch Probleme. In der Ecke des dritten Besucherraums hängen hinter einer Absperrkette über einem Eckschreibtisch neun Bildschirme. Die Überwachungszentrale zeigt Gleissysteme, Überwachungskamerabilder aus der gesamten Miniaturwelt, Straßenverläufe und wo was fährt.

Mit Walkie-Talkie dirigiert

"Der Hans, unser Mastermind", wie Pröhl seinen 52-jährigen Geschäftspartner nennt, saß dort anfangs viele Stunden und teilte Kollegen via Walkie-Talkie mit, wo Feuerwehrautos mit schwächelndem Akku die Staße blockierten. Als "der Wolfgang" den "Wiener Strizzi", wie Pröhl den hauptberuflichen Modellanlagenbauer bezeichnet, 2010 für das Projekt gewinnen wollte, sagte der zunächst ab. Zu viele hätten solche Ideen, umgesetzt würden sie dann doch nie. Es sollte anders kommen.

Nun, einen Monat nach der Eröffnung am 11. November, seien "auch die Kinderkrankheiten" bei der Elektronik von Bahn- und Autoverkehr behoben, wie Pröhl nicht ohne Stolz berichtet. Je 1500 Gäste habe man an den ersten beiden Besucherwochenenden inklusive Freitag registriert. Pro Erwachsenen kassiert er zehn, bei Kindern sechs Euro Eintritt. Voriges Wochenende habe er "den 5000. Besucher empfangen dürfen" – und mit Brettljause beglückt.

Von Krise keine Spur

Dass die Modellbaubranche selbst derzeit eine schwere Zeit erlebt, Firmen zusperren und hohe Verluste anmelden mussten, davon scheint man im Wiener Tirolerland nichts zu merken. Im Gegenteil: Diese Woche beschlossen Pröhl und Team, die Schau in den Weihnachtsferien täglich durchgehend geöffnet zu halten. (Reportage: Gudrun Springer, 11.12.2016)