Foto: Wiener Konzerthaus, Lukas Beck

Wien – Das Wiener Konzerthaus widmet Florian Boesch in der laufenden Saison ein Porträt, das Liederabende ebenso umfasst wie die Mitwirkung des Bassbaritons in verschiedensten Zusammenhängen. Der Zyklus begann im Oktober mit einer Aufführung Felix Mendelssohn-Bartholdys "Elias" und wird Aufführungen von Beethovens 9. Symphonie zu Silvester (30., 31. 12., 1. 1.) ebenso umfassen wie Bachs "Johannespassion" im Frühjahr (4. und 5. 3.).

Außerdem widmet sich der Sohn des Baritons Christian Boesch und Enkel der Sopranistin Ruthilde Boesch, bei der er auch ersten Unterricht erhalten hat, Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" (28. 2.). Abgeschlossen wird der Zyklus mit dem Projekt "Alles wird gut" der Musikbanda Franui (25. 4.).

Zuvor konfrontiert der Sänger, der von Nikolaus Harnoncourt entscheidende Impulse erhalten hat, aber am Dienstag den 13. 12. Lieder von Franz Schubert rund um das Thema Wandern mit dem "Reisebuch aus den österreichischen Alpen", worin Ernst Krenek im Jahr 1929 die brennende Frage der österreichischen Identität verhandelte – ein Thema, das noch immer so aktuell ist wie die Ruhelosigkeit der Gesellschaft, die in dem Liederzyklus ebenfalls beschrieben wird.

STANDARD: Herr Boesch, es war bei Ihnen schon aus familiären Gründen naheliegend, Sänger zu werden ...

Boesch: Im Gegenteil – es war ganz fernliegend. Eigentlich finde ich es natürlich, dass man eine kritische Position einnimmt und etwas anderes versucht. Ich habe zunächst andere Ausdrucksformen gesucht und mich mit bildender Kunst beschäftigt. Nachdem ich als Kind Cello gelernt, darin aber keine persönliche Ausdrucksweise gesehen habe, dachte ich lange, dass ich überhaupt kein Musiker bin. An die Kraft des klingenden Wortes habe ich immer geglaubt und bin erst über diesen Umweg zur Musik gekommen. Da war ich schon Mitte zwanzig.

STANDARD: Haben Sie sich also von der Kunst Ihres Vaters Christian Boesch und Ihrer Großmutter Ruthilde Boesch emanzipiert?

Boesch: Ich konnte bald für mich vom familiären Hintergrund absehen und mein Tun in einen allgemeinen Zusammenhang stellen, der für mich persönlich interessant ist. Insofern ist es in meiner Selbstwahrnehmung und in meinem Empfinden etwas Eigenes geworden. Das war für mich der einzige Weg.

STANDARD: Sie sind tätig in einem offiziösen Betrieb, in dem es immer auch um bürgerliche beziehungsweise staatliche Selbstbespiegelung geht. Inwiefern kann hier eine kritische künstlerische Position Platz haben?

Boesch: Diese Frage bewegt mich nicht so sehr. Wenn das meine Primärmotivation wäre, müsste ich meine Arbeit anders gestalten. Meine Arbeit besteht nicht darin zu überlegen, welche Relevanz ein Werk wie Ernst Kreneks "Reisebuch aus den österreichischen Alpen" heute für unsere Gesellschaft hat, sondern was es für mich bedeutet, was es mir sagt. Was dann im Prozess mit dem Publikum stattfindet, darauf ziele ich zunächst nicht ab. Aber ich hätte schon ganz gern, dass die Menschen zuhören und dass ich sie bewegen kann.

STANDARD: Schon allein das Zuhören ist alles andere als selbstverständlich.

Boesch: Das stimmt, obwohl ich sagen muss, dass ich den Entspannungsberiesler im Konzertsaal nicht verachte. Es ist natürlich eine Sache der anderen, wie ein Sänger beurteilt wird, aber über mich wurde immer wieder geschrieben, dass meine Liederabende, wenn man nicht zuhört, sinnlos sind. Das kann ich mir auch gut vorstellen, weil die Oberfläche, die Klangschönheit, nicht so ergiebig ist wie die inhaltliche Bedeutung.

STANDARD: Sie haben schon im Vorfeld unseres Gesprächs Nikolaus Harnoncourt erwähnt, der sein Publikum buchstäblich zum Zuhören gezwungen hat. Inwieweit war er prägend für Sie?

Boesch: Ich kann mit meinem Werden und Selbstverständnis als Musiker ohne diese Prägung und seine Meisterschaft überhaupt nicht denken. Ich bin ein Harnoncourt-Schüler. Vielleicht wäre manches auch ohne ihn erwachsen, weil es in meiner Persönlichkeit und in meinem Verständnis von Gestaltung liegt. Aber sein Einfluss ist in allem. Das hat auch damit zu tun, dass ich glücklicherweise an einem sehr frühen Punkt meiner professionellen Karriere auf ihn getroffen bin und das, was ich gemacht habe, ausreichend verwendbar für ihn war. Und dass ich 15 Jahre lang kontinuierlich mit ihm arbeiten durfte.

STANDARD: An der Musikuniversität haben Sie bei einem großen Sänger gelernt ...

Boesch: Ja, selbstverständlich war Robert Holl auch sehr wichtig. Natürlich, weil er ein gigantischer Liedsänger ist, aber auch weil er als Lehrer die großartige Eigenschaft hat, nicht zu verlangen, dass jemand das macht, was er als richtig empfindet. Das war für mich insofern prägend, weil das ein Erbe ist, das ich jetzt selbst als Lehrer an der Musikuniversität weitergeben darf. Es geht darum, dass die Schüler herausfinden, was sie selber sagen möchten, und ihnen dabei zu helfen, es besser zu sagen. Es gibt nichts Interessanteres als individuellen, persönlichen Gestaltungswillen.

STANDARD: Das Wort ist für Sie das A und O?

Boesch: Das Wort ist nicht das A und O, sondern Bedeutungsträger. Ich habe ein Gefühl und einen persönlichen Bezug, mein Menschsein. Das klingende Wort ist für mich das Vehikel, das zu transportieren. Im Liedsingen ist der Moment das Wichtigste. Entscheidend ist, was es mir heute bedeutet. Das ist für mich auch die Rechtfertigung, dass wir die reproduzierende Kunst über so viele Jahrhunderte auswalken können. Weil der Moment dann doch so wichtig ist. Der Klang folgt bei mir dem Inhalt. Das ist mein Weg. (Daniel Ender, 13.12.2016)