Die nächste Nationalratswahl kommt spätestens 2018. In jüngerer Vergangenheit deutet einiges darauf hin, dass die SPÖ ihre strikte Ablehnung der FPÖ als Koalitionspartner bis dahin aufgeweicht haben wird. Immerhin regiert Rot-Blau seit 2015 im Burgenland. Zudem wird intern an einem Kriterienkatalog gearbeitet, der inhaltliche Bedingungen für eine Regierungszusammenarbeit festlegen soll. Der Abschied von der Vranitzky-Doktrin hat möglicherweise also schon begonnen.

Wenn dem tatsächlich so ist, dann gibt es im Großen und Ganzen drei Szenarien für eine Regierungsbildung nach der nächsten Wahl. Aller Wahrscheinlichkeit nach müssen sich zumindest zwei der drei größeren Parteien für eine parlamentarische Mehrheit zusammentun (falls notwendig um eine kleinere ergänzt): FPÖ und SPÖ, FPÖ und ÖVP oder SPÖ und ÖVP.

Inhaltliche Überschneidungen

Welche dieser Varianten realisiert wird, hängt von vielen Faktoren ab. Ein wesentlicher sollten die politischen Programme der Parteien sein. Kritisiert wird an der amtierenden rot-schwarzen Koalition ja nicht zuletzt, dass es zu wenige inhaltliche Überschneidungen für große Reformwürfe gibt.

Mit Daten aus der Autnes-Kandidatenbefragung zur Nationalratswahl 2013 (eine postalische Befragung aller knapp 4.000 Personen auf den Wahllisten, wobei rund 1.100 geantwortet haben) können wir die inhaltlichen Überschneidungen der Parteien sehr detailliert abbilden. Unter anderem wurden die Befragten um ihre Meinung zu 22 politischen Streitfragen gebeten (vollständige Liste hier). Die Antwortskala reicht von "trifft sehr zu" (codiert als 5) bis "trifft gar nicht zu" (codiert als 1).

"Policy-Distanzen"

Wenn wir pro Partei die Mittelwerte auf diesen 22 Fünferskalen errechnen (was zugegebenermaßen eine nicht absolut korrekte Vorgangsweise ist, weil es sich um ordinal skalierte Daten handelt, die strenggenommen keine Mittelwertbildung erlauben), dann sind die Differenzen zwischen diesen Mittelwerten ein Maß für die inhaltlichen Unterschiede zwischen den Parteien.

Die Grafik unten bildet diese "Policy-Distanzen" gruppiert nach vier Themenfeldern ab. Wirtschaft und Soziales enthält Fragen zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft, Staatsverschuldung, Sozialleistungen, Einkommensungleichheit, Arbeitslosigkeit und Steuern. Zuwanderung umfasst die Themen Migration, Asyl, Deutschkenntnisse und Islam. In der Bildungskategorie sind Fragen zu Kinderbetreuung, Gesamtschule und Studiengebühren enthalten. Zu guter Letzt umfasst Gesellschaftspolitik die Themen Umwelt, Gleichstellung, Abtreibung und Kriminalitätsbekämpfung. Fragen zum Thema Europa wurden mit anderen Antwortskalen erfasst und sind deswegen nicht Teil dieser Darstellung.

Die durchschnittliche Policy-Distanz zwischen SPÖ und ÖVP beim Themenfeld Wirtschaft und Soziales beträgt etwa 1,51. In anderen Worten: Die Mittelwerte aller SPÖ- und ÖVP-Befragten auf den sechs sozioökonomischen Skalen sind im Schnitt etwa eineinhalb Skalenpunkte voneinander entfernt. Bei SPÖ und FPÖ ist der Wert ähnlich groß (1,36), bei ÖVP und FPÖ hingegen markant kleiner (0,31). Kleinere Policy-Distanzen bedeuten größere Übereinstimmung, dementsprechend stehen einander ÖVP und FPÖ bei wirtschafts- und sozialpolitischen Themen deutlich näher als jede der beiden Parteien der SPÖ.

Dilemma der SPÖ

Insgesamt haben ÖVP und FPÖ in drei von vier Bereichen (Ausnahme: Zuwanderung) die größten inhaltlichen Überschneidungen. Besonders in den Bereichen Wirtschaft und Soziales sowie Bildung sind die Differenzen zur SPÖ stark.

Diese Unterschiede zeigen das Dilemma der SPÖ-internen Koalitionsdebatte: Jene, die auf eine Öffnung zur FPÖ drängen, müssen sich die Frage gefallen lassen, wo die Schnittmengen mit Blau tatsächlich größer sind als mit Schwarz. Jene, die die FPÖ aus inhaltlichen Gründen als Koalitionspartner ausschließen, müssen erst einmal erklären, warum dann eine Koalition mit der ÖVP so viel leichter möglich sein soll.

So oder so gilt aber: Wenn nach der nächsten Nationalratswahl tatsächlich jene Regierung gebildet wird, die das inhaltlich kohärenteste Programm formulieren kann, dann führt wenig an einer Zusammenarbeit von FPÖ und ÖVP vorbei. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 20.12.2016)