Mario Lindner hat als Bundesratspräsident das kollegiale, gute Klima über Parteigrenzen hinweg zu schätzen gelernt. Auf sein Outing anlässlich der Regenbogenparade bekam er nur positive Reaktionen.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Um Mitternacht am 31. Dezember läuft Ihre Amtszeit als Bundesratspräsident aus. Tut es Ihnen leid, dass jetzt Ihre Nachfolgerin Sonja Ledl-Rossmann von der ÖVP Alexander Van der Bellen als Bundespräsidenten angeloben wird?

Lindner: Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, das täte mir nicht sehr, sehr leid. Für mich wäre das schon etwas Besonderes gewesen. Aber ich habe den designierten Bundespräsidenten und meine Nachfolgerin kürzlich noch zu mir eingeladen. Das habe ich mir nicht nehmen lassen.

STANDARD: Haben Sie geglaubt, dass es Van der Bellen nochmals schaffen würde?

Lindner: Ich habe es immer gehofft und auch lange angenommen. Bis zur US-Wahl. Ich hätte meine allerletzte Unterhose darauf verwettet, dass Hillary Clinton Präsidentin wird. Danach war nichts mehr sicher. Ich bin sehr erleichtert, dass Van der Bellen auch so deutlich gewonnen hat.

STANDARD: Viele halten die Länderkammer, der Sie jetzt ein halbes Jahr vorsitzen durften, für ein unnötiges Gremium. Wofür braucht es das?

Lindner: Es ist schon ganz wichtig, jedes Gesetz auch auf seine Ländertauglichkeit abzuklopfen, da sind wir im Bundesrat schon ganz am Anfang eingebunden. Da werden viele Fehler im Vorhinein ausgebügelt, bevor ein Gesetz in den Nationalrat geht und wir es dann noch einmal vorgelegt bekommen. Aber das passiert vorher im Hintergrund ohne Medienöffentlichkeit. Da entsteht natürlich bei vielen die Frage: Na, was tun die eigentlich, außer dass sie alles abnicken?

STANDARD: Und über das Abklopfen der Gesetze hinaus?

Lindner: Wo ich jetzt wirklich draufgekommen bin und was auch sehr wichtig ist: dass in der Länderkammer über Parteigrenzen hinweg eine positive Stimmung herrscht und eine sehr kollegiale, gute Redebereitschaft. Selbst wenn es vereinzelt etwas lauter zugeht. Zum Beispiel in unserem Zukunftsausschuss, da können wir mit allen wirklich alles diskutieren. Außerdem sind wir europaweit die zweitaktivste Kammer – von allen National- und Bundesräten.

STANDARD: Wer ist auf Platz eins?

Lindner: Das ist der schwedische Reichstag.

STANDARD: Nicht nur die Länderkammer, auch die Bundesländer werden seit Jahrzehnten immer wieder hinterfragt. Brauchen wir so viel Föderalismus?

Lindner: Es klingt natürlich wirklich blöd, wenn jemand die Institution, der er angehört, verteidigt, aber die Bundesräte sind in einer wichtigen Position, weil sie sich mit regionalen Themen auseinandersetzen. Dabei haben wir in den Landtagen einen direkten Draht zu den Landesräten und durch den Bundesrat einen direkten Draht zu den Ministern. Deshalb traue ich mich zu sagen, dass es kein effizienteres politisches Netzwerk gibt.

STANDARD: Stichwort Mindestsicherung. Ist eine uneinheitliche Regelung da keine Niederlage?

Lindner: Ich halte absolut nichts von neun verschiedenen Gesetzgebungen. Genau da könnte man zum Beispiel den Bundesrat stärken, indem man ihn mehr einbindet. Ich sehe wirklich überhaupt nicht ein, dass ein Landtag ein Gesetz beschließt.

STANDARD: Sie haben selbst Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Landtage?

Lindner: Das heißt nicht, dass ich für die Abschaffung der Landtage bin! Man braucht sie als Ansprechpartner in den Regionen. Alle schimpfen zwar über Politiker, aber noch mehr wird geschimpft, wenn Politiker nicht da, nicht greifbar sind. Wenn man schon über die Abschaffung des Bundesrates diskutieren will, dann muss man über alles reden, also auch über Neuerungen im Nationalrat und in den Landtagen.

STANDARD: Sie haben sich anlässlich der Wiener Regenbogenparade öffentlich als schwul geoutet. War das mit Ihrer Partei abgesprochen?

Lindner: Ich habe das natürlich schon zuvor mit den engsten Mitarbeitern besprochen, aber darüber hinaus hatte ich zwei Beweggründe: Erstens wollte ich den Zeitpunkt, das öffentlich zu sagen, selbst bestimmen. Zweitens bin ich der erste Politiker in dieser Position, der schwul ist.

STANDARD: Der Erste, von dem wir es wissen jedenfalls.

Lindner: (Lacht.) Stimmt. Aber wichtig war mir, dass sich andere, die sich unsicher fühlen, denken: Der da in der hohen Position kann das sagen, und es ist auch okay. Wenn mein Outing einem einzigen Jugendlichen geholfen hat, besser mit seiner Homosexualität umzugehen, dann war es richtig. Und die vielen positiven Reaktionen, Mails und Briefe haben mir recht gegeben. Das Schöne war ja, und das hat auch eine Zeitung so formuliert: Der Kanzler redet auf der Pride-Parade, der Bundesratspräsident outet sich – und keinen regt das auf.

STANDARD: Wie war Ihre eigene Jugend in Ihrer kleinen Heimatgemeinde Landl, und wie haben die Menschen dort auf Ihr Outing reagiert?

Lindner: Natürlich weiß man, dass im Hintergrund vielleicht auch manchmal geredet wird, aber da war auch nichts Negatives. Unsere Gemeinde hat knapp 3.000 Einwohner, vor den Gemeindefusionen waren es sogar nur 1.500. Also die wenigen, die von mir noch nicht gewusst haben, dass ich schwul bin, die mögen mich jetzt auch nicht weniger als vorher.

STANDARD: Sie haben bei der ÖBB Elektroinstallateur gelernt und dort auch gearbeitet. Haben Sie Christian Kern in dieser Zeit kennengelernt?

Lindner: Ich habe nur bis 2004 dort gearbeitet, da war er noch nicht Chef. Aber ich bin in der Eisenbahnergewerkschaft geblieben, und da habe ich ihn kennengelernt. Ich schätze ihn sehr, vor allem sein unglaublich schnelles Auffassungsvermögen. Man braucht ihm nichts lang erklären, er checkt sofort, worum es geht.

STANDARD: Am Mittwoch haben Sie Ihre letzte Sitzung als Präsident abgehalten.

Lindner: Ja, das war eine sehr schöne Sitzung, bei der sich noch einmal gezeigt hat, dass das Klima positiv und kollegial ist. Was mich besonders gefreut hat, war, dass unsere Gesundheitsministerin, Sabine Oberhauser, da war, und jeder einzelne Redner hat sie in seinem Redebeitrag erwähnt und ihr alles Gute für Ihre Zukunft und Ihre Gesundheit gewünscht.

STANDARD: Sie werden im Frühling erst 35. Was haben Sie ab 1. Jänner 2017 politisch noch vor?

Lindner: Das Thema der digitalen Courage, das mein Hauptthema im letzten halben Jahr war, möchte ich – und müssen wir alle – weiterbetreiben, das ist mir sehr wichtig. Wir haben im Bundesrat zum Umgang mit Hass im Netz in Zusammenarbeit mit NGOs und Vereinen gemeinsam ganz tolle Vorschläge erarbeitet. Ich hoffe, dass meine Nachfolgerin das auch weitermachen wird, auch wenn sie ein anderes, auch sehr wichtiges Hauptthema hat, die Pflege. Aber es wäre schade, wenn man das jetzt einfach liegenlassen würde. Wir haben den Titel "digitale Courage" bewusst gewählt, als positives Signal. Es sollte nicht nur eine Initiative gegen Hass, nicht eine Anti-anti-Sache werden, sondern eine für Courage.(Colette M. Schmidt, 23.12.2016)