Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin wurde wieder eröffnet.

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Berlin/Duisburg/Oberhausen – Neue Hinweise zum mutmaßlichen Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt Anis Amri könnten darauf hindeuten, dass der europaweit gesuchte Tunesier nach dem Anschlag Unterschlupf in Berlin gesucht hat. Der rbb veröffentlichte am Donnerstagabend Überwachungsbilder, die den Terrorverdächtigen knapp acht Stunden nach dem Lkw-Anschlag vor einem Berliner Moschee-Verein zeigen sollen.

Derweil wurden im Ruhrgebiet in der Nacht auf Freitag zwei Brüder festgenommen, die von der Polizei verdächtigt werden, möglicherweise einen Anschlag auf ein Einkaufszentrum in Oberhausen vorbereitet zu haben.

Verletzungen im Gesicht

Nach Informationen des "Tagesspiegels" gehen die Ermittler davon aus, dass sich Amri noch in Berlin versteckt hält. Ein Zeuge habe ihn nach dem Anschlag mit Verletzungen im Gesicht fliehen sehen, die versorgt werden müssten. Nach rbb-Informationen soll Amri zudem auf der Flucht nicht nur seine Geldbörse mit diversen Dokumenten im Lkw-Führerhaus liegen gelassen, sondern auch sein Handy verloren haben. Die Berliner Polizei wollte den Bericht nicht kommentieren und verwies auf die deutsche Bundesanwaltschaft, von der zunächst keine Stellungnahme zu bekommen war.

Am Freitag Vormittag berichtete die dänische Polizei, ein Mann, auf den die Beschreibung Amris passe, sei in der Stadt Aalborg gesehen worden. Die Menschen sollten den Stadtteil Eternitten meiden, da dort ein Polizeieinsatz durchgeführt werde, meldete die Polizei auf Twitter.

Die Ermittler haben kaum noch Zweifel, dass Amri für den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten und mehr als 50 Verletzten verantwortlich ist. Nach dem 24-Jährigen wird nun mit Haftbefehl gesucht. Amris Fingerabdrücke wurden am Fahrerhaus des Lastwagens sichergestellt, der am Montagabend in den Weihnachtsmarkt gerast war. Dies teilte Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) am Donnerstag mit. Es gebe auch weitere Hinweise, "dass dieser Tatverdächtige mit hoher Wahrscheinlichkeit wirklich der Täter ist".

Salafisten-Moschee

Dem rbb zufolge wurde Amri am 14. und 15. Dezember vor dem als Salafisten-Treffpunkt bekannten Moschee-Verein in Berlin-Moabit von Sicherheitskräften gefilmt. Weitere Observationsbilder sollen ihn am frühen Dienstagmorgen an gleicher Stelle zeigen. Alle Aufnahmen wurden demnach jeweils zwischen 3 und 4 Uhr morgens angefertigt.

Ort der Observation war die Vorderseite des Gebäudes des Moschee-Vereins "Fussilet 33". Dieser war am Donnerstag nach dpa-Informationen von einem Spezialeinsatzkommando der Polizei gestürmt worden. Der Moschee-Verein wird im jüngsten Bericht des Berliner Verfassungsschutzes als Treffpunkt von Islamisten geführt. Beim Islamunterricht sollen dort Muslime – meist Türken und Kaukasier – für den bewaffneten Kampf der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien radikalisiert worden sein. Der Lkw-Stellplatz, von dem der Lastwagen vor dem Anschlag losfuhr, ist nur wenige Hundert Meter von dem Moschee-Verein entfernt.

Video veröffentlicht

Neben den Aufnahmen aus Moabit ist auch ein Video aufgetaucht, das den Moment des Anschlags aus der Perspektive eines Autofahrers zeigt. Das von Bild.de veröffentlichte Video zeigt, wie der Lastwagen mit hohem Tempo in den Weihnachtsmarkt fährt. Kurze Zeit später ist zu sehen, wie Menschen vom Tatort weglaufen.

Der mutmaßliche Berlin-Attentäter Anis Amri ist von seinem Bruder aufgefordert worden, aufzugeben und sich der Polizei zu stellen. "Wenn er mich gerade hört, dann sage ich ihm: Stelle Dich, dann ist es für Deine Familie einfacher", sagte Abdelkader Amri am Donnerstag vor Journalisten in seiner tunesischen Heimatstadt Oueslatia.

Festnahmen in Duisburg

Zwei Festnahmen in Duisburg stehen nach deutschen Polizeiangaben nicht in Verbindung zur Fahndung nach dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt. "Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Fall Amri außer dem terroristischen Hintergrund", sagt ein Sprecher der zuständigen Polizei in Essen.

Spezialeinheiten hatten zuvor in Duisburg zwei Männer festgenommen. Sie stehen im Verdacht, einen Anschlag auf das Einkaufszentrum Centro in Oberhausen vorbereitet zu haben.

Mord an 16-Jährigem

Die Hamburger Polizei prüft unterdessen, ob der europaweit gesuchte Anis Amri für den Mord an einem 16-Jährigen Mitte Oktober an der Alster verantwortlich sein könnte. Die Mordkommission habe Ähnlichkeiten zwischen dem Terrorverdächtigen Amri und dem Phantombild in dem Hamburger Mordfall festgestellt, berichteten die Zeitungen der Funke-Gruppe. Ein Polizeisprecher bestätigte am Freitag den Bericht: "Das ist eine weitere Spur, der wir nachgehen. Nach derzeitigem Stand gibt es da aber keine Hinweise."

Ein Unbekannter hatte am 16. Oktober in Hamburg einen 16-Jährigen mit mehreren Messerstichen getötet. Die Begleiterin des Jugendlichen stieß der Angreifer ins Wasser. Die 15-Jährige konnte sich unverletzt ans Ufer retten. Anfang November hatte die Polizei ein Phantombild eines etwa 23 bis 25 Jahre alten Mann veröffentlicht.

Laut "Bild"-Zeitung waren die deutschen Sicherheitsbehörden bereits im August über einen geplanten Anschlag zu Weihnachten in Berlin informiert worden sein. Ein in einem deutschen Gefängnis inhaftierter Häftling habe seinem Rechtsanwalt in einem Brief von vier Mithäftlingen aus Tunesien und Algerien berichtet, die offen über geplante Anschläge gesprochen hätten. Von einem Lkw sei allerdings nicht die Rede gewesen.

Gegen Amri selbst wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Die Bundesanwaltschaft wies am Donnerstag darauf hin, dass verschiedene Orte in Berlin und Nordrhein-Westfalen, an denen er sich aufgehalten haben soll, durchsucht worden seien. Auch ein Reisebus in Heilbronn sei inspiziert worden. Festnahmen habe es nicht gegeben.

In Italien in Haft

Amri, der 2015 über Freiburg ins Land einreiste, war Medienberichten zufolge in Italien und Tunesien bereits zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Die Sicherheitsbehörden hatten laut "Spiegel" vor Monaten vage Hinweise darauf, dass er sich im Chat mit einem Hassprediger als möglicher Selbstmordattentäter anbot. Abgefangene Äußerungen von Amri seien aber so verklausuliert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten.

Nach dpa-Informationen gibt es bisher keine Hinweise auf enge Kontakte Amris zum kürzlich verhafteten Salafisten-Prediger Abu Walaa. Nach einem Bericht der "New York Times" soll sich Amri aber im Internet über den Bau von Sprengsätzen informiert und auch mindestens einmal über den Messengerdienst Telegram Kontakt zum IS gehabt haben, der den Anschlag in Berlin für sich reklamiert.

In der Nacht auf Freitag bestätigte der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek, dass auch eine Tschechin unter den Opfern des Anschlags ist. Insgesamt starben zwölf Menschen, darunter Deutsche, eine Italienerin und eine Israelin. (APA, 23.12.2016)