Schwieriger Start ins Turnier für Magnus Carlsen (rechts).

Foto: qatarchess2016.com/Maria Emelianova

Der Führende Wassil Iwantschuk (rechts) setzt zum Zug an.

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Doha – Schnellschach ist ein dehnbarer Begriff. Als vor knapp drei Wochen die Weltmeisterschaft im klassischen Schach nach unentschiedenem Verlauf in die Verlängerung ging, wurde es gespielt: 25 Minuten pro Spieler plus zehn Sekunden Bonus pro Zug reichten Weltmeister Magnus Carlsen, um gegen Herausforderer Sergej Karjakin jene Wirkungstreffer zu landen, die ihm in den zwölf langen Partien des Matches kaum gelungen waren.

Die von einigen Kommentatoren ausgerufene Lotterie um den Weltmeistertitel fand schlicht nicht statt. Auch mit 25 Minuten pro Partie wird an der Weltspitze heute auf hohem Niveau Schach gespielt, Carlsen war über die vier Tiebreakpartien klar besser und verteidigte seinen WM-Titel letztlich verdient.

Schnell und schneller

Mit diesem Sieg im Gepäck reiste der Weltmeister nun an den Persischen Golf, um in Doha noch etwas mehr schnelles Schach zu spielen und dabei einen weiteren WM-Titel zu verlängern. Die Speed-Disziplinen – Schnellschach und Blitz – haben ihre eigenen WM-Turniere, der ehrgeizige Norweger möchte nach Möglichkeit selbstverständlich Champion aller Klassen genannt werden.

Wobei in Doha zunächst extraschnelles Schnellschach gespielt wird: 15 Minuten plus zehn Sekunden Bonus müssen genügen, so können pro Tag ganze fünf Runden absolviert werden, nach drei Tagen und fünfzehn Runden darf sich der Spieler mit den meisten Punkten ein Jahr lang Schnellschach-Weltmeister nennen. Auch die Damen tragen am selben Ort ihr WM-Turnier aus.

Von einer Lotterie ist auch dieses kürzere Zeitlimit noch meilenweit entfernt, zu lustigem Hauen und Stechen kann es in der Not aber allemal kommen. So war damit zu rechnen, dass die zwischen den Brettern flanierenden Ölscheichs schon am ersten Tag den einen oder anderen Favoritensturz erleben würden – zumal neben Carlsen und Exherausforderer Karjakin noch die halbe Weltelite angereist war, um sich gemeinschaftlich im schnellen Brüten zu üben.

Tag eins

Dass freilich ausgerechnet der Weltmeister an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag als Erstes Federn lassen muss, war nach seinem dominanten Tiebreak-Auftritt bei der WM in New York City nicht erwartet worden: Nach einem unbefriedigenden Auftaktremis gegen den Inder Ganguly riskiert Carlsen in Runde zwei mit den schwarzen Steinen zu viel und wird vom Georgier Lewan Panzulaia schmerzhaft ausgekontert.

Und wer Carlsen kennt, weiß: Der Mann verliert nicht gern. Als dem Weltmeister im Oktober vergangenen Jahres zu Berlin der doppelte Titelgewinn bei der Schnell- und Blitz-WM versagt blieb, pfefferte Carlsen vor Zorn fluchend seinen Kugelschreiber durch die Gegend – zumindest für den Norweger ein Gefühlsausbruch von vulkanischen Ausmaßen – um danach frustriert zu twittern: "Man kann nicht alles gewinnen (anscheinend)."

Des Weltmeisters Gegner der Runden drei bis fünf sind folgerichtig nicht zu beneiden. Der Carlsen-Express nimmt mit drei Siegen Fahrt auf, was nach Tag eins dennoch nur den zwanzigsten Zwischenrang bedeutet. Nach fünf Runden führt überraschend der Ukrainer Anton Korobov, die Nummer 21 der Setzliste überfährt am ersten WM-Tag mit perfekter Punkteausbeute alles, was sich ihm in den Weg stellt.

Tag zwei

Zu Beginn des zweiten Tages atmet Carlsens Spiel dann wieder seine berühmte Leichtigkeit: Scheinbar mühelos nimmt der Weltmeister dem Niederländer Benjamin Bok ein völlig ausgeglichenes Turmendspiel ab und schreibt den vierten vollen Punkt in Folge an. Dann aber wird Carlsen ausgerechnet Wasyl Iwantschuk vor die Nase gesetzt.

Der liebevoll "Tschukki" genannte ukrainische Routinier und erratisch-geniale Publikumsmagnet gehört seit Jahrzehnten zur Weltspitze, lässt schachliche Großereignisse aber in letzter Zeit gerne aus, um als Amateur mit mittlerem Erfolg bei Dame-Turnieren anzutreten. Er war es, der im letzten Jahr Carlsens Ambitionen auf den Blitz-WM-Titel mit einem Sieg über den Weltmeister zerstörte – und "Tschukki" bleibt Carlsens Angstgegner: Mit Weiß überspielt er den zwanzig Jahre jüngeren Champ gnadenlos, der damit bereits seine zweite Niederlage im Turnier quittieren muss.

Aufholjagd

Aber noch einmal bäumt Carlsen sich auf. Gegen den starken Russen Jakowenko opfert er im Zuge eines Königsmarsches seine sämtlichen Fußsoldaten – bis auf einen, der sich in eine Dame verwandelt und dem Weltmeister den Sieg bringt. Eine weitere russische Titel-Hoffnung, Alexander Grischtschuk, ringt er danach in Runde neun auf den allerletzten Metern nieder: Nervös zucken Hände und Augen der beiden Stars, während die letzten Sekunden herunterticken, wie weiland beim guten alten Kaffeehausschach, dann reicht Grischtschuk die Flosse zur Aufgabe hinüber.

Ein Remis gegen seinen ewigen Rivalen, den Armenier Levon Aronian, beschließt den zweiten Tag des Weltmeisters, der nun mit sieben Punkten aus zehn Partien in Lauerstellung für den dritten und letzten Tag liegt. Das Feld aber führt ein anderer an: Wassil Iwantschuk erlebt mit acht Punkten aus zehn Partien gerade seinen x-ten schachlichen Frühling. Gewinnt der Senior das Turnier, wäre das eine mittlere Sensation – die Nerven des Ukrainers haben ihm allerdings schon des öfteren Streiche gespielt.

Und Sergej Karjakin? Der scheint sich von seiner Niederlage in New York noch nicht erholt zu haben und liegt mit nur fünfeinhalb Punkten abgeschlagen auf Rang 36. Bei den Damen wiederum ist Anna Musytschuk der Sieg kaum mehr zu nehmen, sie führt das Feld mit sieben aus acht und anderthalb Punkten Vorsprung an.

Am Mittwoch um 13h MEZ beginnt der dritte und finale Tag der Schnellschach-WM. Am Donnerstag und Freitag wird danach noch das Championat im Blitzschach ausgetragen. Österreichs Nummer 1 Markus Ragger ist in Doha nicht am Start, er bevorzugt eine intensive Vorbereitung für das am 12. Jänner startende Turnier in Wijk an Zee. (Anatol Vitouch, 27.12.2016)