Die scheidende Belvedere-Direktorin Agnes Husslein wünscht ihren Nachfolgern viel Glück.

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Wien – Zu Silvester vor einem Jahr waren Agnes Hussleins Welt und Ansehen noch in bester Ordnung. Ihre Vertragsverlängerung, die eine hochkarätig besetzte Findungskommission dem damaligen Kulturminister Josef Ostermayr empfohlen hatte, schien sicher. Doch dann wurde die Regierung umgebildet, Thomas Drozda übernahm die Kulturagenden.

Und auch er wollte Hussleins Vertrag verlängern, nicht aber die bisherige Prokuristin Ulrike Gruber-Mikulcik, die sich gemeinsam mit Husslein für die Doppelspitze beworben hatte, zur kaufmännischen Direktorin ernennen. Worauf diese dem Kuratorium und, vorerst anonym, Journalisten eine Liste mit angeblichen Compliance-Verstößen Hussleins und ihrer Mitarbeiter zuspielte. Unter anderem ging es um Fahrtspesen von Kärnten nach Wien in der Höhe von jährlich etwa 2.300 Euro, um Gassigehen mit ihrem Hund und um schlechte Mitarbeiterführung.

STANDARD: Sie haben sich zu den Vorwürfen, Sie hätten Compliance-Regeln verletzt, nur sehr selten geäußert oder gerechtfertigt. Warum – weil sie stimmen?

Husslein: Weil man mir versprochen hat, den Vertrag zu verlängern. Minister Drozda bat mich, Ruhe zu bewahren und die Untersuchungen abzuwarten. Diesem Wunsch bin ich nachgekommen. Aber ich habe es gegenüber den Menschen, die die Vorwürfe untersucht haben, sofort richtiggestellt. Ich weiß ja bis heute nicht genau, was man mir vorwirft. Das, was ich kenne, sind, um den ehemaligen Kuratoriumsvorsitzenden Hans Wehsely zu zitieren, Klassenbucheinträge. Natürlich hat beispielsweise niemand aus dem Belvedere bei mir zu Hause Arbeiten verrichtet! Aber die Diskussion in den Internetforen hat eine aggressive Eigendynamik bekommen, sodass der Minister dann eine andere Entscheidung getroffen hat.

STANDARD: Und die Reiseabrechnungen von Kärnten nach Wien?

Husslein: Die ehemalige kaufmännische Direktorin Ulrike Gruber-Mikulcik hat Strafanzeige gegen mich erstattet. Die Reiseabrechnungen, die sie ja immer abgezeichnet hat und von denen auch das Kuratorium wusste, finden sich darin übrigens nicht. Natürlich bin ich nicht ohne Fehl und Tadel und habe vielleicht kleine Dinge nicht hundert Prozent richtig gemacht. Es gibt sicherlich Graubereiche, aber ich habe jeden Tag versucht, Mehrwert für das Haus zu generieren. Ich habe dem Haus Schenkungen aus meinem Privatbesitz gemacht. Und aufgrund meiner persönlichen Kontakte, die ich sicherlich nicht so hätte einsetzen müssen, hat das Belvedere Schenkungen im Wert von 450 Millionen Euro und jedes Jahr mindestens eine Million Sponsorengelder erhalten. Aber wenn man Fehler finden will, findet man sie. Niemand ist unfehlbar.

STANDARD: Wie ist es mit der Androhung, Sponsoren und Donatoren würden sich zurückziehen?

Husslein: Ja, es haben sich Sponsoren und auch Dauerleihgeber zurückgezogen. Das ist normal. Viele sind meine Freunde, sie vertrauen mir, wissen, wie ich agiere. Das ist gelebte Partnerschaft über zehn Jahre. Ich habe immer alle meine privaten Kontakte eingesetzt, habe die Leute zu mir nach Hause, ja, auch nach Kärnten, eingeladen, sie haben bei mir gewohnt, gegessen – das habe ich fürs Belvedere gemacht, damit sie das Haus unterstützen, fördern. Das ist das Schmerzliche: dass man etwas gibt und dafür geschlagen wird. Tatsache ist: Ich konnte die Sammlungen durch Ankäufe und Schenkungen und Dauerleihgaben um mehr als 4.700 Neuzugänge enorm erweitern.

STANDARD: Was sagen Sie zur Ankündigung des neuen kaufmännischen Direktors Wolfgang Bergmann, er wolle den Eigendeckungsanteil noch steigern?

Husslein: Ich finde das toll und wünsche ihm viel Glück! Tatsache ist, dass wir mit etwa sechzig Prozent die bei weitem größte Eigendeckung unter österreichischen Museen haben. 2016 wird vermutlich das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des Belvedere. Als ich das Haus übernommen habe, kamen 400.000 Besucher. Seither gab es sukzessive eine Steigerung, und heuer werden es erstmals über 1,3 Millionen sein! Was ich mit gutem Gewissen sagen kann: Ich übergebe ein wirklich gut bestelltes Haus mit tollen Sammlungen, wissenschaftlicher Kompetenz, tollen Kollegen, motivierten Mitarbeitern.

STANDARD: Apropos motivierte Mitarbeiter: Sind die nicht froh, ihre ungeliebte Chefin loszuwerden?

Husslein: Ich war keine fürchterliche Chefin, sondern meinen Mitarbeitern gegenüber immer großzügig! Es waren einige wenige, vielleicht vier, fünf, die sich beklagt haben, das war halt für Journalisten eine gute Geschichte. Ein Großteil hat sehr gern mit mir gearbeitet. Das sieht man auch an den Emotionen, die mir jetzt entgegengebracht werden. Nun werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt, das ist für die meisten fürchterlich. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich erfülle meinen Vertrag bis Ende des Jahres, habe im Dezember noch meine letzten Ausstellungen eröffnet. Ich habe ja auch schon das Jahr 2017 vollständig geplant und auch einige Ausstellungen für 2018 bereits konzipiert, zum Beispiel über das Jahr 1918, in dem nicht nur der Erste Weltkrieg endete, sondern etwa auch Gustav Klimt, Egon Schiele oder Kolo Moser starben. Welche politischen und kulturellen Implikationen dieses Jahr hatte, daran arbeitet Vizedirektor Alfred Weidinger bereits seit mehr als einem Jahr.

STANDARD: Wird Weidinger dem Belvedere erhalten bleiben?

Husslein: Das müssen Sie meine Nachfolgerin fragen. Seine Position ist, wie auch die des Chefkurators, an meine Person gebunden. Aber ich kann dem Haus nur wünschen, dass er bleibt. Er hat eine hohe Sensibilität und ein großes Wissen, ich hätte vieles von dem, was wir, auch baulich, realisiert haben, ohne seine Unterstützung nicht umsetzen können.

STANDARD: Wo immer Sie Direktorin waren, haben Sie um-, aus- und neugebaut: In Salzburg das Museum der Moderne am Mönchsberg. Das Belvedere haben Sie renoviert, das Winterpalais in der Himmelpfortgasse adaptiert und vor fast genau fünf Jahren haben Sie auch das 21er-Haus eröffnet ...

Husslein: ... und immer unter Einhaltung der genehmigten Budgets! Am 1. Jänner 2007 bin ich angetreten, 23 Tage später habe ich die Orangerie eröffnet, den White Cube hineingebaut. Ich habe Verbindungsgänge geschaffen, alles klimatisiert. Wir waren extrem effizient. Und das damalige 20er-Haus stand seit Jahren leer. Es war ein trauriges Bild, ein bisschen wie ein abgeräumter Christbaum, aber man hat die Kraft und die Schönheit des Pavillons gespürt. Dank der Zusage eines Sponsors beschloss damals auch das Wirtschaftsministerium, den Umbau zu beginnen. Auch das Kulturministerium hat großzügig mitfinanziert. Aber ohne die Initiative und Hilfe der Drittleute wäre das nie in die Gänge gekommen.

STANDARD: Das Belvedere verzeichnet Publikumsrekorde, das 21er-Haus wird demgegenüber eher schütter besucht.

Husslein: Ja, aber die Besucherzahlen wachsen stetig. Natürlich ist das 21er-Haus nicht vergleichbar mit dem Belvedere, es hat auch ein spröderes Programm. Aber Menschen, die es einmal besucht haben, kommen wieder. In fünf Jahren, also in sechzig Monaten, haben wir 68 Ausstellungen gezeigt, es haben 297 Performances, Talks und sonstige Events sowie mehr als tausend Kunstvermittlungsveranstaltungen für Kinder, Jugendliche und Familien stattgefunden. Diese Zahlen sind nur mit einem hohen Arbeitseinsatz aller realisierbar und zeugen von der unglaublichen Dynamik, für die das 21er-Haus steht. Und mit der Ai-Weiwei-Ausstellung haben wir einen neuen Besucherrekord verzeichnet.

STANDARD: Was entgegnen Sie dem oft geäußerten Einwand, das Belvedere mache Blockbusterausstellungen ohne wissenschaftlichen Anspruch?

Husslein: Die, die das sagen, haben sich offenbar die Ausstellungen nicht angeschaut. Wir haben ein hervorragendes Research-Center. Und gegen den Begriff Blockbuster verwehre ich mich! Alle Ausstellungen waren wissenschaftlich fundiert und haben immer einen Aspekt gezeigt, der so noch nie zu sehen war. Diese sehr publikumswirksamen Ausstellungen haben aber auch ermöglicht, wunderbare Künstler zu zeigen, die nicht so bekannt waren, egal aus welcher Epoche. Die mindestens so gut sind wie ihre berühmteren Kollegen, aber die keine Plattform haben. Darauf bin ich nämlich besonders stolz: Dass wir uns mit Themen beschäftigt haben, um die sich in den letzten 30 Jahren kein Mensch gekümmert hat. Dafür haben wir auch viel internationales Lob bekommen, und unsere Publikationen waren oft für Preise nominiert, weil sie so schön und kompetent waren.

STANDARD: Ihre Nachfolgerin Stella Rollig hat erklärt, Sie wolle die Profile der Häuser – Oberes und Unteres Belvedere, Orangerie, 21er-Haus – schärfen. Sehen Sie da retrospektiv bei sich Versäumnisse?

Husslein: Nein. Ich habe es als Chance gesehen, innerhalb eines Museums mit verschiedenen Häusern und räumlichen Gegebenheiten zu arbeiten. Junge Kunst im 21er-Haus, Künstler der Generation 50 plus in der Orangerie, unsere weltberühmten Meisterwerke im Oberen Belvedere. Denn es ist ja so: Wer österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart sehen will, muss ins Belvedere gehen. Und die Ausstellungen fanden nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, sondern wurden auch international wahrgenommen und zum Teil übernommen. Als ich hierherkam, gab es keine Interaktion mit internationalen Häusern. Das war schon ganz stark mein Verdienst.

STANDARD: Was ist dran an den Gerüchten, Sie würden auf Wunsch von Finanzminister Schelling das Winterpalais, das ja wieder ans Finanzministerium zurückfällt, als Ausstellungsraum übernehmen?

Husslein: Da wissen die anderen mehr als ich. Es hat niemand mit mir darüber gesprochen. Aber es gibt viele nationale und internationale Angebote. Ich werde mir gut überlegen, in welche Richtung ich weiter aktiv sein möchte, das muss ja nicht in der nächsten Sekunde entschieden werden. Es ist gut, Abstand zu gewinnen, ehe man sich auf das nächste Abenteuer einlässt. (Andrea Schurian, 29.12.2016)