Nach wenigen Minuten, hier im letzten Winkel von Oberösterreich, wundert es ein wenig, dass der rabenschwarze Kater, der gerade durch die Füße huschte, Espresso heißt. Passt doch, werden Sie sagen, wenn der kleine Schwarze Espresso heißt. Eh. Nur ist es das Einzige, was passt. Alles andere ist ein wenig anders.

Foto: Guido Gluschitsch

Hier sagt man nicht Herr Doktor zum Hausherrn, sondern Erdi, obwohl es sich bei Ehrenfried Pirklbauer um einen angesehenen und geschätzten Zahnarzt handelt, der seit 1992 ordiniert und heute mit seiner Gattin eine Praxis eben hier am Ende der Welt betreibt. Erdi trägt keine Designeranzüge, Erdi fährt keinen Porsche, Erdi hängt sich keine schweren Klunker um und erzählt nicht von der Weltreise, die er in 14 Tagen geschafft hat, und dann wieder in der Ordi stand.

Robbe im Haar

Erdi hat lange Haare, die von einem Haargummi zusammengehalten werden, an dessen Spitze eine kleine weiße Robbe sitzt. Erdi trägt am liebsten Schlapfen – in der Ordination etwa – oder geht gleich barfuß. Und er hat zwar eine volle Garage, in der aber keine teuren Sportwagen stehen, denn Erdi sammelt Isettas und Beiwagenmaschinen, und nicht nur das, er repariert auch alles selbst. Nicht nur an den – ähem – Autos und Motorrädern, sondern auch im Haus und sogar in der Ordination – und da geht es jetzt nicht ums Reißen, Bohren und Plombieren.

Foto: Guido Gluschitsch

Als Beweis dafür mag jene kurze Episode dienen, aus den ersten Tagen der Zahnarztpraxis. In einem Behandlungsraum kümmerte sich Erdis Frau um die Zähne eines Herrn, im anderen Behandlungsraum verlegte Erdi noch den Boden. Weil das Zahnproblem des Patienten dann doch kein alltägliches war, rief die Zahnärztin ihren Gatten, damit er sich das auch ansehen könne.

Überraschende Wendung

Die Behandlung ging gut, und der Patient war zufrieden, wenn er auch später erzählte, dass sein Fall so außergewöhnlich war, dass sogar der Bodenleger schauen kam.

Foto: Guido Gluschitsch

Inzwischen würde niemand mehr den Zahnarzt mit einem Handwerker verwechseln. Die Patienten haben sich daran gewöhnt, dass Erdi so gut wie alles selbst richtet – vom kaputten Zahn im Mund bis zu dem im Getriebe einer Isetta.

Mobile Kugel mit Spitze

Fünf Isettas besitzt er, eine davon ist eine der raren US-Isettas. Für den Laien ist eine Isetta immer eine mobile Kugel, die nach hinten spitz zuläuft. Für Erdi sind es Isettas, die es in Deutschland fast nur mit vier, in der Schweiz mit Zwillings- und in Österreich mit drei Rädern gab. Grund dafür waren die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen in diesen Ländern zum Fahren solcher Fahrzeuge.

Foto: Guido Gluschitsch

Ab April 1955 bis Mai 1962 baute BMW dieses Rollermobil mit 250 und 300 Kubikzentimeter großen, luftgekühlten Einzylinder-Motoren, und zwölf respektive 13 PS, das nach dem Krieg zum einen die Menschen mobil und zum anderen BMW aus der Krise führen sollte – das Werk in München, in dem im Zweiten Weltkrieg etwa Motorräder gebaut wurden, war 1945 fast vollkommen zerstört, das Automobilwerk in Eisenach hatten die Sowjets übernommen.

Foto: Guido Gluschitsch

Erdi kam während seines Studiums auf die Isetta. Er studierte gemeinsam mit seinem Bruder in Graz, und die beiden pendelten an manchem Wochenende mit dem Motorrad nach Oberösterreich heim. "Wir kauften uns damals um 2000 Schilling eine Beiwagenmaschine von 1975, mit der wir hin und her fuhren", erzählt er, und dass Beiwagenmaschinen seit damals seine zweite große Leidenschaft sind. Das Graz-Pendel-Motorrad steht in einem Teil des Schuppens, neben einer Isetta. Auf der Beiwagenmaschine ist noch ein schwarzes Nummernschild montiert, das als Wechselkennzeichen auch für eine der Isettas gilt.

Foto: Guido Gluschitsch

An der Isetta daneben ist eine Kette montiert, die verhindert, dass der Dreiradler mit dem Heck in die Werkstattgrube fällt, von der aus Erdi den Motor ausgebaut hat. "Den Motor macht ein Freund aus Graz", sagt er und meint damit Wartung und Reparatur, "das Getriebe mache ich selbst" – und sogar die Tapezierung.

Foto: Guido Gluschitsch

Ganz fremd dürfte ihm das Warten der Motoren aber dann doch nicht sein, stellt sich heraus, als wir an einem Holzgestell auf Rädern vorbeikommen, in den ein kleiner Motor eingebaut ist. "Da hab ich mir einen kleinen Prüfstand gebaut", sagt Erdi, als wäre es das Normalste der Welt, und erklärt, dass dieser Aufbau seine Arbeit an einem neu aufgebauten Isetta-Motor sehr erleichtere. Denn der Kopf des Motors muss nach wenigen Stunden Betrieb noch einmal nachgezogen werden. Weil das aber im eingebauten Zustand nicht so gut funktioniert, lässt Erdi diesen Motor halt auf dem Prüfstand einlaufen, bevor er ihn montiert.

Foto: Guido Gluschitsch

Isetta in Wien

Um zu zeigen, was er an seinem Prüfstand alles messen und kontrollieren kann, wirft er den Isetta-Motor an und schiebt das knatternde und rauchende Wagerl ins Freie. Dort steht auch ein ganz gewöhnliches Auto, das nahelegen würde, dass Erdi seine Isettas gar nicht fährt. Tut er aber seit vorigem Jahr, zum Einkaufen nämlich, in die Arbeit, aber auch "zu einem Treffen pro Jahr, obwohl ich Treffen nicht so mag". So war er mit einer Isetta schon bei den Vienna Classic Days, fuhr auch schon die Ärzte-Trophy mit.

Foto: Guido Gluschitsch

Und dann schlägt er endlich vor, dass auch wir eine Runde mit der Isetta fahren. Er wählt eine heimische mit drei Rädern. Er schiebt die Isetta ins Freie, öffnet die große Tür an der Front, klettert hinein, und kaum sitzt er, zieht er sich die Schlapfen aus, stellt sie neben die Pedale und startet den Dreiradler.

Foto: Guido Gluschitsch

Ungewöhnlich intim ist die folgende Ausfahrt, kurzweilig, flott und eindrucksvoll. Man kennt den Erdi und seine flotten Dreier inzwischen. Zumindest wirkt es so, weil er gegrüßt wird, als säße er in einem Volvo oder VW.

Foto: Guido Gluschitsch

Als wir nach wenigen Minuten wieder zurück sind, wartet Espresso schon wieder auf uns. Während ich zuschaue, wie Erdi seine Isetta wieder in die Scheune schiebt, spielt der Kater mit meinen Schuhbändern. Die Gelegenheit hat er beim bloßfüßigen Erdi wohl nicht oft. (Guido Gluschitsch, 31.12.2016)