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Die vollverschleierte Indira Sinanović trat im Herbst bei den Lokalwahlen in Bosnien-Herzegowina als Gemeindevertreterin an. Vielen säkularen Bosniern machen die fremden Traditionen vom Golf Angst.

Foto: Reuters / Dado Ruvic

Es war einst eine sozialistische Vorzeigeinstitution, die den Einsatz für die Jugend widerspiegeln sollte. Das "Haus der Jugend" in Sarajevo wurde 1969 in funktionellem Beton und Glas gebaut. Ein halbes Jahrhundert später treten dort am Sonntagabend statt Rockbands zuweilen Salafisten auf. Der Mann mit dem Rauschebart hat den Saal gefüllt. Hier wird nicht mehr die Gleichheit der Bürger und Geschlechter gelehrt – Männer und Frauen müssen strikt voneinander getrennt sitzen. Sie lauschen andächtig den Worten des Predigers, ohne eine Frage zu stellen.

Almir Kapić spricht von der "schönen Tradition des Islam", die ganz anders sei als das Leben in Frankreich. Sein Anliegen ist kein spirituelles, sondern ein gesellschaftlich-politisches. Der Westen wolle "uns" zwingen, dass die Hochzeit von gleichgeschlechtlichen Menschen erlaubt werde, wettert Kapić. Der Westen sei gegen den Islam, denn der Islam sei nun aus den Moscheen herausgekommen. Kapić verweist auf die drohende "Strafe", falls das Volk vom Glauben abfalle. Die Leute, die ihm zuhören, kommen aus der Mittelschicht, sind jung und konservativ. Die religiöse Rechte hier erinnert an Bewegungen wie die Tea Party in den USA.

In das ideologische Vakuum, das nach dem Ende des Sozialismus entstand, sind schon vor dreißig Jahren nationalistische und religiös-politische Ideologien vorgedrungen. Liberale und säkulare Bosnier fühlen sich davon bedroht.

In einem Staat, der so wenig gemeinsame Identitätsmöglichkeiten für die Bürger bietet wie Bosnien-Herzegowina, können religiös-politische Bewegungen zudem zur weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen.

Traditioneller Islam

Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IG) distanziert sich von Predigern wie Kapić und den Salafisten. Sie hat in den vergangenen Monaten versucht, die 64 Gemeinschaften, die außerhalb der Struktur der IG standen, zu integrieren. "Die große Mehrheit hat nun unser System akzeptiert", erzählt Muhamed Jugo von der IG in Sarajevo, die 1882 unter österreichisch-ungarischer Herrschaft ähnlich wie eine Kirche organisiert wurde. Der Großmufti Husein Kavazović forderte den Staat sogar dazu auf, die Gemeinschaften außerhalb der IG zu schließen. "Mehr kann nicht getan werden", sagt Jugo. "Wir wollen unseren traditionellen Islam behalten, der auch als Modell für Europa genommen werden könnte."

Viele salafistische Prediger werden in den Golfstaaten ausgebildet. "Dann werden sie nach Bosnien zurückgeschickt, um zu missionieren, oft ohne die speziellen kulturellen Merkmale des Islam in Bosnien anzuerkennen", erklärt der Politologe Vlado Azinović. Er betont, dass nicht alle Salafisten gewaltbereit seien. "Die gewaltbereitesten befinden sich nicht einmal in Bosnien, sondern agieren meistens aus der EU."

Die IG habe praktisch keinen Einfluss auf sie. Sie hat aber gegen den Extremismus Initiativen gestartet: Ein Jugendcamp wurde organisiert, und mit Hilfe aus Norwegen bekamen 30 Imame Präventionstrainings. "Dabei ging es auch darum, den sogenannten Internet-Muftis und ihren Botschaften vorzubeugen", erklärt Jugo.

Tourismusgeschäfte

Sorgen bereitet vielen Bosniern auch der wachsende Einfluss der Golfstaaten. Österreich ist bei den ausländischen Direktinvestitionen zwar noch immer die Nummer eins, doch die Investitionen aller Golfstaaten und der Türkei gemeinsam umfassten im Jahr 2015 bereits 30,2 Millionen Euro – oder 26 Prozent. Bis Juni 2016 machten die Investitionen der Golfstaaten und der Türkei sogar 39 Prozent aller Investitionen aus.

Bosnien-Herzegowina ist eine beliebte Urlaubsdestination vieler Araber. Manche werden von lokalen bosnischen Wahhabiten untergebracht und betreut. "Die Tourismusgeschäfte bringen vielen Salafistenfamilien eine bedeutende Einkommensquelle", meint Azinović. Er verweist darauf, dass das Geld am regulären Banksystem vorbeiläuft. "Da werden keine Steuern eingefordert." Es sei auch ziemlich plausibel, dass mit dem Geld ein ideologischer Einfluss einhergehe, meint Azinović und teilt damit die Befürchtungen vieler Bosnier. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 2.1.2017)