Barbaros Şansal gilt als einer der Wortführer der liberalen Türkei.

Diskretion ist nicht eben sein Fall, und für seine Extrovertiertheit hat der türkische Modemacher und bekennende Homosexuelle Barbaros Şansal schon sehr viel einstecken müssen.

Doch nun ist der 59-jährige Freigeist im enorm angespannten Klima der Türkei über einen einzigen Tweet gestürzt: Wegen seiner derb-launigen Silvester-Grußbotschaft, in der er via Twitter den ganzen Frust der Liberalen über die Situation im Land losließ, sitzt Şansal in Haft. Volksverhetzung lautet der Vorwurf.

Verprügelt ...

Den Mob, der ihn nach der Ausweisung aus dem türkischen Teil Zyperns auf dem Rollfeld des Flughafens in Istanbul erwartete, kannte der Modemacher bereits. Im Dezember 2012, kurz vor dem Jahreswechsel, wurde er schon einmal in Istanbul auf der Straße verprügelt. Şansal ist eine Zielscheibe der Nationalisten und Islamisten in der Türkei.

1957 in bürgerlichen Verhältnissen in Ankara geboren, wechselt er nicht weniger als viermal das Gymnasium. Bereits als Bub habe er sich als Homosexueller gefühlt, so erzählt er. Man wirft ihn deshalb immer wieder von der Schule. Die türkischen Militärärzte attestieren ihm später eine "psychosomatische Krankheit".

... vergewaltigt

Şansal gilt offiziell als unbrauchbar für den Wehrdienst. Doch Schwulsein macht ihn zum leichten Opfer: 1978 wird Şansal von der Polizei aus einer Bar in Istanbul geholt und auf den Çamlica-Hügel auf der asiatischen Seite gefahren. Mit vorgehaltener Pistole hätten ihn die Polizisten vergewaltigt, erzählt Şansal Jahre später. Nach dem Militärputsch 1980 wiederfährt ihm dasselbe in den Gefängnissen der Junta.

Şansal studiert Modedesign in London. Anfang der 1980er-Jahre gründet er in einem ehemaligen Kino am Taksim-Platz eine Modeschule. Şansal wird zusammen mit seinem Lehrer und späteren Geschäftspartner Yıldırım Mayruk einer der wichtigsten Modemacher der Türkei. Das Hochzeitskleid von Elif Sözen, der türkischen Schwiegertochter des früheren deutschen Kanzlers Helmut Kohl, entwirft er 2001. Şansals und Mayruks jährliche Modeschauen mit dem Titel "Erzählungen für 2023" sind der säkulare Kontrapunkt zum "Ziel 2023", dem politischen Programm von Staatspräsident Tayyip Erdoğan bis zum 100. Geburtstag der Republik.

Şansal ist einer der Wortführer der LGBT-Bewegung in der Türkei, bei den Gezi-Protesten 2013 ist der Modemacher natürlich dabei. Er könne sich an keine gute Regierung in diesem Land erinnern, sagt er. (Markus Bernath, 4.1.2017)