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In den japanischen Bädern ist der strikte Verhaltenskodex, der das Zusammenleben regelt, gelockert – ein bisschen zumindest.

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Ein Tattoo-Verbotsschild in einem Onsen in Miyako.

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Das Handtuch kommt auf den Kopf.

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Das Handtuch? Wo, um Himmels willen, soll man das kleine Handtuch hinlegen? Zusammengekauert auf einem kleinen Plastikschemel nach der umfangreichen Säuberungsaktion, bei der kein Stückchen Haut nicht eingeseift und abgerubbelt und wieder eingeseift und abgerubbelt wurde, ist der Fetzen erst einmal pitschenass. Das kleine Handtuch ist nämlich ein großer Waschlappen. Betritt man ein japanisches Onsen, also eine der vielen heißen Quellen, die es auf dieser Insel gibt, wird er einem zusammen mit einem großen Handtuch ausgehändigt.

Also wohin mit dem Handtuch? Es gibt nichts, was in diesem Land nicht seinen festgelegten Platz hätte. Das ist die erste Lektion, die man als Japanreisender lernt. Die Misosuppe hat beim Frühstück rechts, der Reis links zu stehen, und drum herum die anderen Dinge. Das eingelegte Gemüse. Der geräucherte Fisch, die gestockten Eier. Wartet man auf eine U-Bahn, macht man dies aufgereiht in einer Schlange – an markierten Punkten. Geht man aufs Klo, stehen vor der Tür schon eigene Klopantoffeln bereit. Die Wohnungspantoffeln haben auf dem Häusl nichts verloren.

Und das Handtuch?

Der Nackige zur Linken deutet auf seinen Hinterkopf. Dort oben gehöre das Handtuch hin. Schön zusammengefaltet oder einfach nur hingeklatscht? So weit geht nicht einmal die Ordnungsliebe der Japaner, dass selbst das geregelt wäre. Onsen sind ein Ort, wo der strikte Verhaltenskodex, der das soziale Leben in Japan regelt, gelockert ist. So steht es in den Reisebüchern. Freunde steigen in das vulkanische Wasser, um gemeinsam abzuhängen. Arbeitskollegen, um informelle Schwätzchen zu halten. Das Wasser dampft, die Menschen dösen.

Zumindest solange niemand in ein Fettnäpfchen tritt. Noch mit Seifenresten oder vielleicht sogar ungewaschen in eines der Becken steigen? Geht gar nicht. Das Handtuch, äh den Waschlappen, ins Beckenwasser tauchen? Gott behüte. Das Onsen gar mit einem Tattoo betreten? No way. Beim Eingang kriegt man einen Aufkleber, mit dem man seine Tattoos verdecken muss – wenn man denn unbedingt darauf besteht, überhaupt hineinzuwollen. Gern sieht man das nämlich nicht. Tätowierungen sind in Japan offensichtlich noch immer Mitgliedern der Yakuza, also der organisierten Kriminalität, vorbehalten.

Unrecht kommt zurück

Lektion zwei, die man in diesem Land lernt: Viele Dinge haben in Japan eine ganz andere Bedeutung als in unseren Breitengraden – und manchmal auch gar keine. Schnäuzen zum Beispiel. Ist ein Zeichen für richtig schlechtes Benehmen. Besser man zieht das, was rausmuss, schön geräuschvoll hoch. Oder wenn man Trinkgeld gibt: Da fühlt sich jemand schnell einmal beleidigt. Höflichkeit, Gastfreundlichkeit und guter Service sind in diesem Land sowieso selbstverständlich. Wieso dann also Trinkgeld geben?

Mit den zehn Yen, die nach dem Kauf eines mit süßer Bohnenpaste gefüllten Mochi, auf der Theke liegen bleiben, läuft einem die Verkäuferin bis über die Straße nach. Immer wieder verbeugt und entschuldigt sie sich. Nicht dass man glaube, sie habe sich die gerade einmal zehn Cent in die eigene Tasche stecken wollen! Macht ja nichts, gibt man der aufgelösten Frau zu verstehen. Macht schon was, erklärt Reiseführerin Yuko. Das Unrecht komme zurück. Reißt man sich etwas unter den Nagel, wird einem das auch passieren. Hai, erwidert man als gelernter Japaner. Was so viel wie "ja" bedeutet.

Besser freundlich lächeln

In Wahrheit bedeutet ein Ja aber erst einmal nicht viel. Vor allem nicht, dass man einer Sache zustimmt. Lektion Nummer drei lautet deshalb: Am besten man streicht das Wort "nein" gleich aus seinem Wortschatz. Besser man setzt ein freundliches Lächeln auf – und druckst herum. Man könne ja einmal darüber nachdenken. Hai. Ich bin mir jetzt gerade nicht sicher, dass ... Hai. Vielleicht könnte man ja ... Hai.

Zu höflich geht in diesem Land nicht. Warum sich nur dreimal verbeugen (mit dem gesamten Oberkörper, aber nicht zu tief) wenn es auch zehnmal geht? Nach dem Zurücksetzen des Flugzeugs vom Gate, nehmen die vier Bodenarbeiter, die den Schlepper bedient haben, Aufstellung. Einer nach dem anderen verbeugt sich. Dann heben sie die Hände zum Gruß und winken – bis der Flieger auf der Rollbahn verschwunden ist. (Stephan Hilpold, RONDO, 12.1.2017)