Während die Yachten der einen immer länger werden, fehlen Mittel für öffentliche Leistungen.

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Angesichts von Terror und Krieg mag es irritierend wirken, über das gute Leben nachzudenken. Und doch gibt es Zusammenhänge. Der Aufbau sozialer Marktwirtschaften in Europa nach dem Trauma des Zweiten Weltkriegs hat nicht nur unseren materiellen Wohlstand erhöht, sondern auch zum Aufbau sozialer Sicherungssysteme und zur Ausweitung der Bildungsmöglichkeiten geführt. All dies trug dazu bei, unsere Demokratien zu stabilisieren. Was als Wirtschaftswunder in die Lehrbücher eingegangen ist, kann durchaus als Zukunftsmodell auch für andere Regionen dienen, in denen heute Krieg und Gewalt herrschen. Leidvolle Erfahrungen, die Europa ja – blickt man die Jahrhunderte zurück – keineswegs fremd sind.

Ökonomie für Satte

Doch dieses Erfolgsmodell hat Schattenseiten, und es zeigt Risse. Unser Konsumstil ist ökologisch desaströs und nicht nachhaltig. Trotz des Effizienzversprechens der Green Economy weisen alle Ressourcen- und Emissionstrends weiter nach oben.

Das Wirtschaftssystem wirkt zudem ausschließend – zwei Drittel der Menschheit sind noch immer von den Segnungen unseres Wohlstands ausgeschlossen. Wir betreiben eine Ökonomie für die bereits Satten. Die Herausforderung besteht jedoch darin, eine Wirtschaft für die Hungernden, also jene, die den größten Bedarf haben, und nicht für jene mit der größten Kaufkraft zu etablieren.

Und schließlich zeigt das Wohlstandsversprechen auch bei uns immer mehr Risse. Die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Immer mehr Menschen leiden unter Stress. Zeit und Aufmerksamkeit werden zum neuen knappen Gut. "Der Mensch ist die Krone der Erschöpfung" – so ein sinniger Plakatspruch. Die einen leiden an Überarbeitung, die anderen daran, nicht mehr gebraucht zu werden.

Es mag paradox erscheinen: Doch Gutes hört auf, gut zu sein, wenn man zu viel davon will und nie genug kriegen kann. Wirtschaftswachstum war in den Aufbaujahrzehnten sinnvoll. In gesättigten Ökonomien wird es kontraproduktiv beziehungsweise braucht es eine andere Richtung. Die Ausweitung der Konsummöglichkeiten hat unser Leben bereichert, doch die moderne Warenwelt sowie die täglich auf uns einprasselnden Freizeitofferte verstopfen den Lebensalltag – so wie dies die Autos mit unseren Städten tun.

Die Anhäufung von Geld bei den Reichen hat Suchtcharakter; längst geht es nicht mehr um die Ermöglichung eines guten Lebens. Zugleich verhungern Menschen. Es wird Menschen Gewalt angetan, ohne dass dabei Sprengköpfe gezündet werden. Das Hinnehmen des täglichen Sterbens aufgrund vorenthaltener Hilfe ist nicht weniger pervers als das abscheuliche Vorgehen der selbsternannten Gotteskrieger und Selbstmordattentäter.

Mehr Lebensqualität

Das gute Leben leidet aber auch in Wohlstandszonen selbst. Die Mittel für öffentliche Leistungen sind knapp, die öffentlichen Schulden nehmen rasant zu. Während die Yachten der einen immer länger und die Glastürme der internationalen Finanzzentren immer höher werden, fehlen unseren Schulen die Ressourcen, um guten Unterricht möglich zu machen, etwa in kleineren Klassen oder durch Team-Teaching. Und die Ressentiments nehmen zu, wie der sich ausbreitende Rechtspopulismus in ganz Europa zeigt. Kollektives Teilen fällt schwer angesichts der allgemeinen Krisenstimmung, in der Gelassenheit verdächtig wirkt und "Wir schaffen das" als Drohung wahrgenommen wird. Wirtschaft muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Innehalten und Aussteigen aus dem Hamsterrad ist angesagt – persönlich wie auf gesellschaftlich-politischer Ebene. Wir brauchen neue Bilder von einem guten Leben und einer Gesellschaft des Zusammenhalts. Lebensqualität und eine faire Verteilung des Erwirtschafteten stehen dabei im Mittelpunkt – und nicht das Streben nach noch mehr Wachstum.

Dabei geht es um eine "Kultur der Inklusion", eine "Kultur der Nähe" sowie eine "Kultur des Genug". Wir leben ökologisch über unsere Verhältnisse, sozial und kulturell aber weit unter unseren Möglichkeiten. (Hans Holzinger, 23.1.2017)