Die tenorale Verlässlichkeit in Person: Juan Diego Floréz.


Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wien – Er ist Oper: Auf eine beinahe ewige Karriere als Startenor ließ Plácido Domingo ein Postludium als Bariton folgen, er war Operndirektor (in Washington und Los Angeles) und dirigiert seit einigen Jahren auch Opern. An der Wiener Staatsoper, wo er sein Debüt 1967 gab, vor einem halben Jahrhundert, leitete der rastlose Ausnahmekünstler schon über 30 Aufführungen. Nun ist Plácido Domingo wieder für sechs Dirigate im Haus am Ring zu erleben, bei Charles Gounods Roméo et Juliette und Puccinis Tosca (ab 31. 1.).

Seine erste Aufführung von Gounods romantischer Oper war denn auch ein voller Erfolg: Begeisterter Beifall für den freundlichen weißhaarigen Herrn im Dirigentenfrack, Jubel für die Sänger. Das Wiener Staatsopernorchester animierte Domingo in energischer Weise – und manchmal leise mitsingend – zu Leidenschaft, Wärme und Glut, aber auch zu leichtfüßiger Spritzigkeit. Das Orchester konnte in Gounods Werk seine lyrischen Qualitäten herausstellen, zeigte sich in sehr guter, wenn auch nicht herausragender Form.

Die Wiener Staatsoper ist Touristenmagnet, Realitätsfluchtpunkt und Musiktheatermuseum: Dass auch gegenwartsnahe Inszenierungen aus der Zeit der Staatsoper 2.0 (Direktion Holender) schnell alt und abgestanden ausschauen können, bewies Jürgen Flimms Deutung des Werks. Von der grauenhaft öden Feststimmung im ersten Akt will man gar nicht sprechen, und selbst der Sternenhimmel funkelt relativ stimmungsfrei.

Die Premierenserie von 2001/2002 sang ja noch der differenzierte Rollengestalter Neil Shicoff (der fast Chefprogrammierer der Staatsoper 3.0 geworden wäre), am Sonntagabend gab Juan Diego Floréz den Roméo: die tenorale Verlässlichkeit und Gleichförmigkeit in Person. Nur im dritten Akt der Monsterpartie kamen die Spitzentöne etwas angestrengt.

Aida Garifullina, seit 2014 Ensemblemitglied des Hauses, gab ihr Rollendebüt als (mädchenhafte) Juliette: fehlerfrei und proper, mit einem kompakten, agilen, nicht allzu großen, nicht allzu warmen Sopran. Von den mittleren Partien fesselten Rachel Frenkel als Stéphano und Gabriel Bermudéz als cooler und gleichzeitig heißblütiger Mercutio; unauffällig Carlos Osuna als Tybalt. Exzellent Dan Paul Dumitrescu als milde gestimmter Frére Laurent, eindrucksvoll Alexandru Moisiuc als Le Duc; Wolfgang Bankl (Capulet) steigerte sich nach sprödem Beginn. (Stefan Ender, 23.1.2017)