Ein Tagebuch von 1944 aus der Sammlung Frauennachlässe.

Foto: Sammlung Frauennachlässe / Uni Wien

Wien – Bei der Aufarbeitung der Weltkriege hat sich die Geschichtswissenschaft oft auf die Seite der Soldaten konzentriert. Das liegt auch daran, dass eher Dokumente von Männern als von Frauen erhalten geblieben sind, sagt Christa Hämmerle, Professorin für Geschichte an der Universität Wien und Leiterin der Sammlung Frauennachlässe. Auch in anderen Forschungsgebieten der Geschichtswissenschaft galt lange die vorherrschende Meinung, dass es für Untersuchungen der Perspektive von Frauen ungenügend Quellen gebe. Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, wurde 1990 die Sammlung Frauennachlässe gegründet.

Frauennachlässe

"Auch das alltäglichste Dokument hat historischen Wert, wenn man es in einen geschichtlichen Kontext stellt", sagt Hämmerle. Gemeinsam mit der Historikerin Li Gerhalter, die die am Institut für Geschichte der Uni Wien beheimatete Sammlung betreut, sprach sie im Jänner im Wiener Volkskundemuseum über Frauennachlässe aus der Zeit des Nationalsozialismus. Genauso wie das Volkskundemuseum dient die Sammlung Frauennachlässe einer alternativen Geschichtsschreibung, die sich aus privaten Dokumenten wie Fotografien, Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen aller Art speist.

Prominenz und öffentliche Bedeutung der Personen, die diese Dokumente anfertigten und überlieferten, sind kein Kriterium. Der Bestand umfasst 330 Vor- und Nachlässe, etwa von Bäuerinnen, Lehrerinnen, Fabrikarbeiterinnen, Hausfrauen, Schriftstellerinnen oder Postangestellten. Gesammelt werden auch mit diesen Dokumenten in Zusammenhang stehende Nachlässe von Männern.

"Sehr persönliche und wertvolle Dokumente"

Viele Materialien werden von Privatpersonen, vor allem von Nachfahren, in die Sammlung eingebracht oder von anderen Archiven weitergeleitet. "Die Menschen überlassen uns ihre Schätze. Das sind sehr persönliche und wertvolle Dokumente", sagt Hämmerle. Die Aufgabe der Sammlung endet nicht bei Dokumentation und Archivierung. "Die Frauennachlässe sind eine lebendige Sammlung, die rege in der Lehre genutzt wird", sagt Hämmerle. Studierende treten mit Forschungsfragen an die Dokumente heran, für Lehrveranstaltungen sowie Dissertationen und Masterarbeiten.

Ausnahmesituationen

Neben der Forschung gehört zur angestrebten Vermittlung der Materialien auch maßgeblich das Mitwirken an Ausstellungen. Aktuell verleiht die Sammlung Frauennachlässe unter anderem zwei Fotoalben einer Krankenschwester, die in einem Mutter-Kind-Heim kriegsdienstverpflichtet war, an die Ausstellung Fremde im Visier, die derzeit im Volkskundemuseum zu sehen ist. Diese ist aus dem Forschungsprojekt der deutschen Kunsthistorikerin Petra Bopp hervorgegangen. Gezeigt werden private Kriegsfotografien von Wehrmachtsoldaten aus dem Zweiten Weltkrieg.

Verarbeitung von Erfahrungen

Die Sammlung Frauennachlässe wertet zwar, wenn ein Bestand aufgenommen wird, nicht jedoch, welche Dokumente beziehungsweise geschilderten Ereignisse oder Zeiträume wichtiger sind als andere. Dennoch besteht ein großer Teil der Sammlung aus Materialien zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. "In Ausnahmesituationen wird vermehrt geschrieben und das Geschriebene auch aufbewahrt und weitergegeben", sagt Li Gerhalter. Dies liege daran, dass während des Krieges viele Menschen getrennt werden und Briefe schreiben, und auch daran, dass verstärkt Tagebücher begonnen werden, um Erfahrungen zu verarbeiten. Darüber hinaus sei die Bevölkerung während beider Weltkriege dazu angehalten worden, private Aufzeichnungen zu führen, etwa in Form eines patriotischen Tagebuchs.

Frauen seien auch dezidiert dazu aufgefordert worden, Feldpost an Soldaten an der Front zu schicken, sagt Hämmerle, die sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat. Sie leitete gemeinsam mit Ingrid Bauer, Historikerin der Universität Salzburg, ein Projekt des Wissenschaftsfonds FWF, das Bestände der Sammlung Frauennachlässe in Bezug auf Paarkorrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts auswertete. (Julia Grillmayr, 28.1.2017)