Wissenschaftliche Studien leisten einen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Diskurse über Migration, Flucht und Asyl.

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In einem kürzlich erschienen Userkommentar reflektiert die ehemalige WU-Vizerektorin Barbara Sporn kurz nach der US-Präsidentschaftswahl die Aufgaben öffentlicher Universitäten. In einem postfaktischen Zeitalter, das durch eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft geprägt ist, erscheint ihr Appell, die Universität wieder zu einem "Ort des Widerstands" zu machen, aktueller denn je. Ein zentrales Thema ist dabei jenes der globalen Migrationsströme und der Integration von Geflüchteten, bei welchem gerade Universitäten aufgerufen seien, "umsetzbare Lösungen anzubieten".

Tatsächlich ist der Bedarf an quantitativen und qualitativen Studien zu Migranten und deren sozialer, kultureller und ökonomischer Integration groß, und österreichische Forscher leisten hier Bemerkenswertes. Eine kürzlich an der Universität Wien stattgefundene Tagung zu Migration und Männlichkeit zeigte etwa auf, dass nicht erst seit der Kölner Silvesternacht Sexismus und Rassismus eng verwoben sind.

Im Herbst 2016 wurde die erste Studie aus dem Projekt Displaced Persons in Austria Survey (DiPAS), an welchem ich selbst mitwirken durfte, in einer amerikanischen Fachzeitschrift veröffentlicht. Das Netzwerk Refugee Outreach and Research bietet den dringend benötigten Austausch unterschiedlicher Disziplinen und akademischer Traditionen. Ein beispielhaftes Projekt im Rahmen des Netzwerks ist die transdisziplinäre Studie Loslassen – durchstehen – ankommen zur aktuellen Situation Geflüchteter in Österreich. Studien wie diese wollen einen Beitrag zur Versachlichung der öffentlichen Diskurse über Migration, Flucht und Asyl leisten.

Mit Fakten öffentliche Meinung mitgestalten

Mit der Erhebung und Analyse repräsentativer Daten soll im Idealfall nicht nur eine weitere Publikation dem wissenschaftlichen Renommee hinzugefügt, sondern fundierte und, soweit möglich, international referierte Analysen für politische Entscheidungsfindung und den gesellschaftlichen Dialog generiert werden. Besonders in einer Zeit "alternativer Fakten" und selektiv kommunizierter Statistiken gilt es, fundierte wissenschaftliche Grundlagen zur Einschätzung des Integrations- und Partizipationspotenzials von Migranten und Geflüchteten in Österreich zu schaffen.

Gerade beim Thema Flüchtlingsintegration dominieren oft Emotionen vor Fakten den politischen Diskurs. Die wissenschaftliche Forschung muss hier einen unabhängigen Beitrag zur Problemlösung leisten und diesen über die akademische Community hinaus sichtbar machen.

Wissenschaft darf nicht instrumentalisiert werden

Im Sinne der vom Wissenschaftsministerium propagierten "Responsible Science" sehen sich viele Migrationsforscher mehr denn je gefordert, ihre Erkenntnisse für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu übersetzen. Denn das Aushandeln von Strategien zur Bewältigung nationaler Herausforderungen aufgrund von Migration – darunter die Aufnahme, Versorgung und Integration Geflüchteter – sollte nicht zuletzt auch von Universitäten geprägt werden. Dazu bedarf es, zusätzlich zur von Ministerien, Bund und Ländern geförderten und unerlässlichen Auftragsforschung, auch freifinanzierter, institutionenübergreifender Studien sowie Allianzen mit relevanten Stakeholdern.

Während zu Recht vor einer Instrumentalisierung von Migrationsforschern durch die Politik gewarnt werden muss – zuletzt eindrucksvoll von Ruth Wodak, Linguistin an der Universität Wien und der Lancaster University, bei einer AK-Tagung –, kann umgekehrt das Verharren im sprichwörtlichen Elfenbeinturm doch wenig zur Steigerung der Sichtbarkeit und Legitimität öffentlicher Universitäten beitragen.

Um der Forderung nach evidenzbasierter Politikgestaltung, wie sie auch von der österreichischen Bundesregierung proklamiert wird, gerecht zu werden, sollte es gerade der Migrationsforschung ein Anliegen sein, ihre Erkenntnisse durch verantwortungsvolle Öffentlichkeitsarbeit zu popularisieren. Es wäre wünschenswert, dass Österreich als Schlüsselland im Herzen Europas nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich eine zentrale Rolle in der Beantwortung der Flüchtlingsfrage einnimmt. (Judith Kohlenberger, 26.1.2017)