170 Jahre wird es dauern, bis weltweit Geschlechterparität besteht – 52 Jahre länger als 2015 vorhergesagt. "Wir reden darüber, solange ich mich erinnern kann", meinte Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), in Davos. Wie mehr Frauen in Führungspositionen gebracht werden können, war auch heuer wieder ein zentrales Thema beim Weltwirtschaftsforum (WEF).

Immerhin ist es 2017 gelungen, den Frauenanteil beim Treffen von Spitzenvertretern aus Politik und Wirtschaft in den Schweizer Bergen deutlich zu erhöhen: von 17,8 im Vorjahr auf 20 Prozent – aber auch dank der Tatsache, dass mit 3000 Teilnehmern deutlich mehr als in den Vorjahren die Veranstaltung besuchten. Einen Beitrag leistete aber auch die WEF-Quote, dass große Unternehmen fünf Personen zum Weltwirtschaftsforum entsenden können, wenn darunter eine Frau ist. Ansonsten ist die Höchstzahl der männlichen Teilnehmer auf vier beschränkt. Bei den Global Shapers, den nach Davos eingeladenen Führungskräften unter 30 Jahren, ist die Geschlechterparität mit 50:50 bereits gegeben.

Der Gap wurde größer

In der Welt draußen sieht es anders aus. Der jährliche Gender Gap Report des WEF, der die Lage der Frauen in 144 Ländern untersucht, kommt zum Ergebnis, dass sich 2016 die Situation binnen eines Jahres noch verschlechtert hat. Österreich liegt nur noch auf Platz 52. Im Jahr davor hat Österreich noch Platz 37 eingenommen.

Vor allem die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sind in Österreich vergleichsweise groß. Dass Österreich noch nie ein weibliches Staatsoberhaupt hatte, wurde ebenfalls in die Untersuchung einbezogen. 2006 war Österreich sogar noch auf Platz 27 gelegen.

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde (links), und Sheryl Sandberg, COO von Facebook, gaben in Davos sehr persönliche Ratschläge.

Im Zuge der sogenannten Vierten Revolution wird sich der Frauenanteil insbesondere in technischen Berufen noch weiter verringern, heißt es in einer Mercer-Studie, die ebenfalls in Davos zirkulierte. Demnach ist in Tech-Berufen damit zu rechnen, dass die Repräsentanz weiblicher Mitarbeiter sogar von derzeit 34 auf 31 Prozent sinkt.

Während weltweit der Aufholprozess beim derzeitigen Tempo 170 Jahre dauern wird, geht es in Westeuropa laut dem WEF-Report schneller. Nur 61 Jahre. "Aber auch das ist zu lang", befindet Lagarde, die die erste Finanzministerin in Frankreich war. Lagarde schilderte in Davos ihre Erfahrungen aus dieser Zeit. Wenn sie Verantwortliche in Firmen gefragt habe, wie es mit der weiblichen Repräsentanz in Aufsichtsräten ausschaue, dann habe sie oft die stereotype Antwort erhalten, es gebe schlicht zu wenige geeignete Frauen dafür. "Deshalb hatte ich immer eine Liste mit 20 Namen von Frauen mit, die ich diesen Männern dann in die Hand gedrückt habe."

Chancen "limitiert"

Sie selbst sei auch einmal während eines Jobinterviews gegangen, als ihr mitgeteilt worden sei, ihre Karrierechancen seien limitiert. Später habe sie die Erfahrung gemacht: Immer wenn eine Frau zu sprechen begonnen habe, dann schalteten die Männer ab. "Das darf man sich als Frau nicht gefallen lassen." Da dürfe man auch einmal auf den Tisch hauen.

Lagarde gestand aber auch ein, dass sie sich mit einer Quote nicht wirklich wohlfühle, um die Repräsentanz von Frauen etwa in dem von ihr geleiteten im Internationalen Währungsfonds zu erhöhen. Das würde bedeuten, dass der IWF in den nächsten fünf Jahren nur noch Frauen einstellen dürfte. Aber wenn es Frauen in Führungspositionen geschafft hätten, dann hätten sie die Pflicht, andere Frauen zu unterstützen, meint Lagarde.

"Solange sich Frauen, auch wenn sie sehr erfolgreich sind, immer fragen lassen müssen: 'Und wie kriegst du das mit der Kinderbetreuung hin', wird sich nichts ändern", meinte Sharmeen Obaid-Chinoy, eine oscarprämierte Dokumentarfilmerin in Davos. "Wie viele männliche CEOs werden das gefragt?" Katherine Garrett-Cox, die im Aufsichtsrat der Deutschen Bank sitzt, gab ihre Erfahrungen weiter, dass es leichter sei, wenn man Kinder früher bekomme.

Aus der Tradition heraus

Kinderbetreuung sei Frauen- und Männersache, erklärte Sheryl Sandberg, COO von Facebook. "Wir müssen Männer überzeugen, sich mehr zu engagieren, sich mehr um die Kinder zu kümmern. Die Männer haben schließlich auch etwas davon."

Sandberg hat vor drei Jahren die Initiative "Lean in" gestartet. Ihren Angaben zufolge haben sich mehr als 30.000 Frauen daran beteiligt. Die Erfahrungen daraus: Man müsse für Frauen "sichere Räume zum Austausch" schaffen. Frauen müssten aber auch aus ihren Stereotypen ausbrechen und sich für Jobs interessieren, die bisher vor allem von Männern besetzt seien. "Sonst dauert es wirklich noch mehr als hundert Jahren, bis wir wirkliche Gleichberechtigung haben", meint Sandberg. (Alexandra Föderl-Schmid, 30.1.2017)