Volle Konzentration auf den Geschmack: Das Spittelberg darf schon jetzt als eine der (Wieder)-Eröffnungen des Jahres gelten.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalbsleber, mit Süßholz geradezu magisch gut gewürzt, und mit einem Kompottpfirsich angerichtet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

"Kochen kann man lernen. Zum Rôtisseur aber muss man geboren sein." Der Gastrosoph Brillat-Savarin (1755-1826) hat das Geheimnis des Bratens großer Stücke, Grillens am Spieß und Erahnens des idealen Garpunkts in dieses Bonmot gekleidet. In Zeiten des Sous-Vide-Garens und anderer hochtechnisierter Formen der Denaturierung unserer nobelsten Lebensmittel ist diese rare, reine Kunst fast in Vergessenheit geraten. Harald Brunner kann kochen – und wie. Was für ein Rôtisseur in ihm steckt, demonstriert er jetzt erstmals auf höchster Stufe: im einstigen Kussmaul, das als "Das Spittelberg" wieder aufgesperrt hat.

Aber schön der Reihe nach: Brunner gilt seit bald 20 Jahren als großer Koch. Vor ein paar Jahren aber ging er nach Gumpoldskirchen, um in einem Heurigen eine streng lokale, den Slow-Food-Maximen verpflichtete und vergleichsweise einfachere Küche zu pflegen. Umso überraschender kommt sein Wiedereinzug nach Wien: Das schillernde, zum Haselsteiner-Imperium zählende Ex-Kussmaul galt als eine der spektakulärsten Neugründungen der notorisch unterkapitalisierten Hauptstadtszene. Der Koch Mario Bernatovic hatte versucht, hier eine komplizierte Kombination aus Fine Dining, Zuckerbäckerei, Cocktailbar und Brasserie umzusetzen, bei der aber kein Element so wirklich überzeugen konnte. Nach seinem abrupten Exit im Vorjahr war die noble Bude sechs Monate geschlossen.

Unter Brunners Leitung wird jetzt der Wiener Küchentradition gehuldigt – individuell, inspiriert, doch mit deutlich weniger Hype und modischer Verbrämung als beim ersten Versuch. Einen Showstopper gibt es aber: die Rôtisserie, auf der sich seit vergangener Woche Enten verschiedenster Größe, aber auch mächtige Grandes Pièces von geradezu unwirklich aromatischem, dicht marmoriertem, trocken gereiftem Rind drehen, wobei sie sich gegenseitig mit Bratenfett beträufeln.

Brunner hat lange von so einem Ding geträumt. Wegen des archaischen Geschmacks, den es den Speisen einzubrennen vermag, aber auch wegen der Stimmung, mit der ein langsam sich drehender Fleischspieß den Raum erfüllt. Ente, mit wunderlicher Aromenkraft (Kardamom? Bohnenkraut? Zitronenpfeffer?) eingelassen, wird zu knuspriger Herrlichkeit gegrillt. Dazu gibt es bissfestes Rotkraut und einen Grammelknödel, der zwar für sich genommen grandios schmeckt, neben dem nicht gerade unfetten Vogel aber gar gut gemeint ist. Zwiebelrostbraten bekommt ebenso unklassisch wie unwiderstehlich eine geflämmte Kruste aus gerösteten Zwiebeln, Ochsenmark und Kräutern verpasst, verblüffend, gut.

Süßholz raspeln

Kalbsleber, mit Süßholz geradezu magisch gut gewürzt, wird fernab aller Trends fast schon antiquiert zugerichtet: So darf (siehe Bild) ein nostalgischer Kompottpfirsich mit auf den Teller – genau der fruchtige Kick, der die zarte Innerei und das berückende Saftl endgültig zum Abheben bringt. Dim Sum (eigentlich Nudeltascherl) mit Kalbsbries und Flusskrebsen in einer unendlich molligen, komplexen Sauce ist eines der Gerichte des Abends. Aber auch die nominell einfachste Vorspeise begeistert: Salatherzen mit würzigem Ziegenkäse, Artischockenherzen und orientalisch geschmorte Melanzani, die mit dezidiert pikanten Chilidressing aufgetragen werden: So kompromisslos auf Geschmackskraft ausgerichtet können vorgebliche Model-Vorspeisen also auch schmecken. Die Karte wechselt regelmäßig, dementsprechend oft wird man sich um einen Tisch anstellen wollen. Die alte Tante namens Wiener Küche jedenfalls kriegt hier einen ebenso erfrischenden wie altmodischen Tritt in den Hintern verpasst. Zeit war's! (Severin Corti, RONDO, 3.2.2017)