Am 2. Februar vor 28 Jahren wurde die zehnjährige Christina Beranek in der Wiener Per-Albin-Hansson-Siedlung sexuell missbraucht und erdrosselt. Kurz zuvor starb nicht weit entfernt die 20 Jahre alte Alexandra Schriefl. Und im Dezember 1990 wurde, als letzter Fall der sogenannten Favoritner Mädchenmorde, die achtjährige Nicole Strau tot im Laaer Wald aufgefunden. Doch im Gegensatz zum letzten und ersten Verbrechen wurde der Mörder von Christina Beranek bis heute offiziell nicht gefunden. Auch wenn sich die Ermittler in der Frage des Täters ziemlich sicher waren.
Die 20-jährige Verkäuferin Alexandra Schriefl verschwand am 26. Oktober 1988 in ihrem Heimatbezirk Favoriten nach einem Besuch der Disco Azzurro in der Himberger Straße. Elf Stunden nach ihrem Verschwinden wurde sie bei einer Suchaktion hinter einer Plakatwand in der Himberger Straße gefunden – vergewaltigt, erdrosselt und mit ihren Strümpfen und ihrem Pullover nackt an einen Baum gefesselt. Bei den darauffolgenden Ermittlungen gab es mehrere Verdächtige, hunderte Personen wurden vernommen, doch eine wirklich heiße Spur konnte die Polizei nicht finden.
An das Stiegengeländer gefesselt
Etwa drei Monate später, am 2. Februar 1989, gab es erneut Mordalarm im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Die zehn Jahre alte Christina Beranek wurde in der Per-Albin-Hansson-Siedlung – nur wenige 100 Meter von jenem Ort entfernt, an dem Alexandra Schriefl getötet wurde – sexuell missbraucht und erdrosselt. Sie war zuletzt lebend in einer Trafik gesehen worden, wo sie ein Micky-Maus-Heft abholte. Das Mädchen wurde im letzten Stockwerk des Blocks B der Siedlung mit ihrer Strumpfhose getötet und an das Stiegengeländer gefesselt.
Aufgrund der Nähe der beiden Tatorte und der ähnlichen Tatausführung vermuteten die Ermittler eine Person hinter den beiden Gewaltverbrechen. Die Folge war der bis dahin größte Polizeieinsatz in der Zweiten Republik. Mitunter waren 200 Beamte zugleich im Einsatz. Die österreichischen Kriminalisten wurden bei der Spurensuche von Kollegen des deutschen Bundeskriminalamts unterstützt. Vermutet wurde, dass der Täter aus der Per-Albin-Hansson-Siedlung stammt, in der damals etwa 11.000 Menschen wohnten. Etwa 1.000 Personen wurden überprüft und mehr als 500 Wohnungen untersucht. Als Belohnung wurden 160.000 Schilling ausgesetzt (heute etwa 11.600 Euro).
Im Zuge dieser Ermittlungen wurden zunächst sieben Verdächtige ausgeforscht. Am heißesten war die Spur bei dem 20-jährigen Werner K., der vor Jahren bereits neun Mädchen in der Per-Albin-Hansson-Siedlung sexuell belästigt hatte. Er war mit Alexandra Schriefl in die Schule gegangen und hatte für die erste Mordnacht kein Alibi. Schließlich wurde er durch eine Blutgruppenbestimmung entlastet – der Mörder von Alexandra Schriefl hatte Blutgruppe A, K. hingegen Blutgruppe 0. Zudem konnte er für die Tatnacht im Fall Christina Beranek ein stichfestes Alibi nennen.
Serientäter vermutet
Am 22. Dezember 1990 wurde Nicole Strau getötet, nachdem die Achtjährige bei ihrer Tante Weihnachtsgeschenke abgeholt hatte. Sie begegnete vermutlich zufällig auf dem Weg zum Autobus ihrem Mörder, der sie mitnahm, sich an ihr verging und sie dann im Laaer Wald mit einem abgebrochenen Ast erschlug, nachdem er versucht hatte, sie mit ihren eigenen Schuhbändern zu erdrosseln. Der Verdacht, es mit einem Serientäter zu tun zu haben, erhärtete sich damit. Doch auch hier konnte keine heiße Spur gefunden werden, trotz Überprüfung von mehr als 1.600 Personen.
Lange tat sich bei den Favoritner Mädchenmorden nichts, mit der Weiterentwickung von DNA-Verfahren, die die weit ungenauere Blutgruppenbestimmung ersetzten, gab es wieder Fortschritte – allerdings erst im neuen Jahrtausend. In den Fällen Schriefl und Strau waren Spermaspuren sichergestellt worden, die jeweils darin enthaltene DNA wurde in die am 1. Oktober 1997 in Betrieb genommene österreichische DNA-Datenbank aufgenommen. Im September 2000 erfolgte ein Treffer. Bei dem 1968 geborenen Herbert P. gab es eine Übereinstimmung mit der DNA-Spur im Fall Schriefl. Bereits kurz nach der Tat hatte man gegen ihn ermittelt. Durch einen Fehler in der Gerichtsmedizin war damals eine falsche Blutgruppe für ihn bestimmt worden, weshalb er als Täter nicht mehr infrage kam.
Mit dem eindeutigen DNA-Beweis wurde Herbert P. im Oktober 2001 festgenommen und im Dezember wegen Mordes an Alexandra Schriefl zu 15 Jahren Haft verurteilt – die Höchststrafe für den zum Tatzeitpunkt noch nicht 21-Jährigen. Wäre er älter gewesen, hätte er auch lebenslang bekommen können.
Falsches Alibi
Im November 2001 konnte auch die Klärung im Fall Strau vermeldet werden. Michael P., der die Achtjährige gekannt hatte, hatte kurz nach der Tat ebenfalls zu den Verdächtigen gezählt, sich aber mithilfe eines falschen Alibis entlasten können. Nachdem Herbert P. mittels DNA-Verfahren überführt worden war, versuchte es die Polizei nun auch in diesem Fall. Bei Michael P. gab es eine Übereinstimmung des Erbguts, er wurde im Dezember 2003 wegen Mordes an Nicole Strau zu lebenslanger Haft verurteilt.
Bleibt noch der Fall Christina Beranek. Staatsanwalt und der zuständige Kriminalpsychologe gingen davon aus, dass Herbert P. auch hier der Täter war – die Parallelen im Tathergang waren zu deutlich. Da im Fall Beranek aber keine DNA-Spuren gefunden wurden und somit auch kein eindeutiger Beweis vorhanden war, kam es nie zur Anklage. Hinsichtlich Strafmaß hätte das zwar keine Konsequenzen gehabt – Herbert P. hätte trotzdem nicht mehr als 15 Jahre Haft bekommen können –, doch in der Kriminalstatistik scheint der Mord an Christina Beranek offiziell als ungelöster Fall auf. (ksh, APA, 2.2.2017)