Oft heißt es, Medien sähen vor lauter Kritikversessenheit die Fortschritte in der Politik nicht. Darum sei einmal das Positive zuerst erwähnt: Der Chef des Arbeitsmarktservice blickt optimistisch in die Zukunft, weil trotz grimmigen Jännerwetters die kritische Arbeitslosenzahl von 500.000 nicht erreicht wurde; und der Sozialbericht attestiert dem Staat, Armut und Ungleichheit verringert zu haben. Das ist nicht nichts.

Allerdings war's das dann an guten Nachrichten, vor allem was Ungleichheit zwischen Männern und Frauen betrifft. Im Sozialbericht steht zu lesen, auf dem Arbeitsmarkt zeige sich der "lange Atem der tradierten Geschlechterrollen". Das schreibt das "rote" Sozialministerium der rot-schwarzen Koalition ins Stammbuch. Das ist auch nicht nichts.

Diese Regierung hat gerade einen erneuerten Koalitionspakt vorgelegt, man will Gestaltungswillen beweisen – und schlägt sich aktuell doch primär mit der Frage herum, wessen "Handschrift" die Vereinbarung nun trägt. Auf Twitter ist nachzulesen, wie ungerecht und verfehlt Bundeskanzler Christian Kern es empfindet, dass es nun heißt, er habe viele ÖVP-Forderungen übernommen. Kern argumentiert sinngemäß, es sei vor allem wichtig, in der Regierung etwas weiterzubringen. Liest man den Sozialbericht, erkennt man allerdings: "Weiterbringen" allein, um jeden Preis, ist zu wenig. Pragmatik und Kompromissbereitschaft über Jahrzehnte gingen vor allem auf Kosten von Frauen.

Auf dem Arbeitsmarkt werden Frauen "systematisch benachteiligt". Österreich hat im Europavergleich einen der größten Geschlechterunterschiede bei Stundenlöhnen. Frauen verdienen bei gleicher Arbeit im Durchschnitt 22,9 Prozent weniger als Männer. 75 Prozent der Männereinkommen liegen über dem Median der Fraueneinkommen. Fast die Hälfte der Frauen, aber nur zehn Prozent der Männer arbeiten Teilzeit, und wenn es in die Pension geht, stehen Frauen am Rande der Armut.

Geht es noch beschämender? Die SPÖ kann sich nicht damit herausreden, dass dies allein dem Widerstand des Koalitionspartners geschuldet sei. In der Tat ist das Frauenbild der ÖVP, trotz zahlreicher fähiger und vielbeschäftigter Frauen in den eigenen Reihen, skandalös rückschrittlich. Konservative Politikerinnen und Funktionärinnen hätten schon lange viel massiver dagegen auftreten müssen, dass noch jede ÖVP-Führung konsequent an den tatsächlichen Lebenswelten der Frauen vorbeiregiert hat.

Was bedeutet Wahlfreiheit, wenn es flächendeckende und qualifizierte Kinderbetreuung gar nicht gibt? Wie kann es sein, dass viele Unternehmer noch immer gegen Väterkarenzzeiten und Elternteilzeit für Männer sind? Wo blieb umgekehrt der Druck der SPÖ auf den Koalitionspartner? Zudem: Man kehre vor der eigenen roten Tür. Was hat die Gewerkschaft gegen die Gehaltsschere unternommen? Was haben rote Bundeskanzler zuletzt ernstlich für Frauen getan?

Und schließlich: Wie wenig fortschrittlich ist die österreichische Gesellschaft insgesamt, wenn sich noch immer viele Frauen nach der Geburt ihrer Kinder freiwillig aus dem bezahlten Arbeitsleben nehmen – selbst auf die Gefahr hin, es spätestens im Alter zu bereuen? Hier wurde viel versäumt, vor allem an Bewusstseinsarbeit.

Aus dem Sozialbericht kann man etwas lernen. Zum Beispiel das: Weltanschauung ist nicht egal – schon gar nicht für Frauen. (Petra Stuiber, 1.2.2017)