Einfühlsame Gespräche und Fotografien von und mit Frauen – fast alle weit über 80 Jahre alt.

Foto: Juliana Socher

Ulrike Scherzer, Juliana Socher
"Altweiberwohnen"

"Gespräche und Fotografien über das Wohnen im Alter"
Residenz-Verlag 2016
152 Seiten, 29,90 Euro

Foto: Residenz Verlag

Die porträtierten Frauen berichten von den konkrete Herausforderungen des Alters: von Haushaltshilfen, Beinbrüchen und Rehas.

Foto: Juliana Socher

Die Autorinnen haben genau hingeschaut und sehr gut zugehört.

Wo ihr Fuchs und Igel "Gute Nacht" sagen, wohnt Rahel, 95 Jahre alt. Eben Fuchs und Igel – und nicht Fuchs und Hase. Solche Details sind es, die das Buch "Altweiberwohnen" der Fotografin Juliana Socher und der Architektursoziologin Ulrike Scherzer so liebenswert machen. Sie haben genau hingeschaut und sehr gut zugehört. 19 Frauen, die auch im hohen Alter noch allein und selbstbestimmt wohnen und leben, haben sie besucht und in Wort und Bild porträtiert. Die ältesten sind 95 Jahre alt, die jüngste Ende 70.

Sie waren Sekretärin, Lehrerin, Architektin, Modedesignerin oder Hausfrau. Sie haben ihre Männer überlebt, manche von ihnen haben Kinder, andere nicht. Sie leben in Österreich und Deutschland und waren bereit, über ihr Leben zu erzählen: über ihre Wohnbiografie, die sich im Laufe ihres Lebens bei den meisten verändert hat, aber auch über Privates. Viele von ihnen wohnen seit den 1950er-Jahren im selben Haus, das ihnen nach dem Auszug der Kinder viel zu groß geworden ist. Manche von ihnen benutzen daher nur noch einen Teil der Wohnfläche, das Treppensteigen klappt nicht mehr so gut.

Das ist einer der sehr wenigen Punkte, die sich an dem Buch kritisieren lassen: der leichte Überhang in die besser situierte Gesellschaftsschicht. Andererseits haben Wohlstand und Alter auch etwas miteinander zu tun – und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele der betagten Frauen, die im fortgeschrittenen Alter noch selbstständig sein können, aus dem (gehobenen) Mittelstand stammen.

Eigentum

Die Mehrzahl der porträtierten Frauen wohnt im eigenen Haus, wobei da das Spektrum von der Villa übers Reihenhaus bis zum schlecht heizbaren Ferienhäuschen reicht, das für Ursula, 84 Jahre, zur Dauerlösung wurde, als ihr mit 81 Jahren die Mietwohnung gekündigt wurde. Margret, 81 Jahre, wohnt in einem kleinen Haus in einer ehemaligen Bergarbeitersiedlung. "Ich sagte zu meinem Mann: Hör mal – sind wir eigentlich panne? Wir haben so eine schöne Wohnung, und jetzt sollen wir in so ein Loch umziehen", erzählt die Hausbesitzerin wider Willen. Wochenlang habe sie mit ihrer Tochter Schutt zum Container geschleppt. Jetzt ist sie heilfroh, hier zu wohnen.

Auch andere Frauen haben beim Bau ihres Hauses selbst zugepackt. Getraud, 86 Jahre, hat in einer ostdeutschen Großstadt nach dem Krieg 400 Stunden an der Baugrube ihres Genossenschaftshauses mitgeschaufelt. "Wir waren ja froh, dass wir überhaupt mal eine Wohnung hatten", sagt sie. Auch andere der Frauen erinnern sich an die beengten Zustände: Sie erzählen vom Kinderbett, das vor dem Schrank stand, in dem die Polizeiuniform des Ehemannes hing. Der ging dann ohne Uniform in den Dienst, um das Kind nicht zu wecken.

Nie zu alt für Skype

Renate, heute 88 Jahre alt, wohnte als Kustodin am Bode-Museum 1960 in Berlin sogar eine Zeit lang im Keller des Pergamonmuseums. Abgesehen von den vielen Anekdoten und Details, die dieses Buch so reich machen, sind es auch konkrete Herausforderungen des Alters, von denen die Frauen berichten: von Haushalts- und Putzhilfen, von Aussteighilfen aus der Badewanne, von Beinbrüchen und Rehas. Aber auch von ihren Träumen, ihren Lektüren, ihren Freunden und Freundinnen: Trude, 89 Jahre, hält von ihrem "Kommandostand" am Sofa via Skype Kontakt zu ihren Kindern. Was sie gemeinsam haben? Ins Heim wollen sie sicher nicht – und langweilig wird ihnen nie. Ein sehr ermutigendes Buch für alle, die das Glück haben, halbwegs gesund zu bleiben und keine gröberen finanziellen Sorgen zu haben.

Aber wie schreiben die Autorinnen: "Unser Anliegen war es, keinen repräsentativen Durchschnitt zu erheben, sondern eine vielfältige und spannende Mischung zu zeigen." Das ist gelungen. (Tanja Paar, 3.2.2017)