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Jens Steiner.

Foto: EPA

In einer schlaflosen Nacht fand Farid Mokhtari heraus, dass sich mit einem präzisen Schlag seiner archäologischen Spitzkelle – er hatte an der Universität Isfahan in prähistorischer Anthropologie promoviert – auf eine ganz bestimmte Stelle des Jochbeins eine millimeterdünne Schicht des Gesichts abschlagen ließ. Als er in den Spiegel blickte, fand er sich um zehn Jahre verjüngt.

Am nächsten Morgen schauten ihm die Kolleginnen in der Wäscherei länger in die Augen als je zuvor. Der Gedanke war unwürdig, doch fand er durchaus, dass dieses Gesicht ihn ein Stück weit für all das entschädigte, was er seit seiner Flucht nach Europa verloren hatte. Wenn er noch an eine göttliche Gerechtigkeit glauben wollte, musste er diese Geste des Allmächtigen wohl oder übel annehmen.

Der Haken bestand darin, dass der Schlag mindestens jede dritte Nacht durchgeführt werden musste und dass die abgeschlagenen Schichten sich augenblicklich in akkadische Beterfiguren aus Susa verwandelten und ihn mit vorwurfsvollen Blicken durch die Wohnung verfolgten. Die Wehmut, die ihn bei dem Gedanken an den damals verpassten Posten eines Chefarchäologen in ebenjenem Susa ergriff, ließ ihn noch öfter zur Spitzkelle greifen. Heute tut er es bereits drei Mal täglich. (Jens Steiner, Album, 4.2.2017)