Im Fernsehen sieht es so einfach aus. Die Scheiben kippen weg wie Dominosteine. Tschack. Tschack. Tschack. Im Nacken der spürbare Atem des Kontrahenten. Die Finger am Abzug dürfen nicht kalt werden. Biathlet Dominik Landertinger biegt mit einem Puls zwischen 160 und 170 auf den Schießstand ein. "Wenn jemand neben dir alles trifft, darfst du das nicht mitbekommen. Sonst hast du schon verloren. Wenn tausende Leute im Hintergrund schreien, dann musst du das ausblenden", sagt der 28-jährige.

"Wenn im Hintergrund tausende Leute schreien, dann musst du das ausblenden."

Biathlon ist für Landertinger, Österreichs Medaillenhoffnung bei der Heim-WM in Hochfilzen, die von 8. bis 19. Februar in Szene geht, ein "witziger" Sport. Eine Topleistung in der Loipe lässt sich durch Schwächen beim Schießen spielend zusammenhauen. Und umgekehrt. Und dann ist da noch die Sache mit dem Kopf.

Am Start

Beim Massenstart drängen sich 30 Läufer, Siegerkandidaten gibt es fast ebenso viele. Kaum eine Sportart hat ein so dichtes Weltklassefeld wie Biathlon. "Das musst du aushalten", sagt Landertinger. Und er hat es ausgehalten. Im Februar 2009 verließ der gebürtige Oberösterreicher seinen zweiten Heimatort Hochfilzen als Biathlon-Talent und kam als Weltmeister im Massenstart wieder nach Hause.

Der 28-jährige Dominik Landertinger blickt zuversichtlich der WM entgegen. "Ich traue mir zu, die Weltbesten zu schlagen."
Foto: APA/Gindl

Spätestens seit diesem Erfolg prophezeiten ihm Experten im Weltcup, inklusive Biathlon-Godfather Ole Einar Bjørndalen, eine große Zukunft. Landertinger, sagen viele, sei eine Maschine in der Loipe. Es folgten bis heute fünf Weltcupsiege und zwei Silber- und eine Bronzemedaillen bei olympischen Spielen in Vancouver und Sotschi.

Den Kampfgeist entwickelt er früh. Mit zehn Jahren ging es zum Langlauf und alsbald zum Biathlon. Dabei wollte Landertinger als Kind eigentlich Skispringer werden, aber das ist "gottseidank nichts geworden. Weil ich mich nie getraut hätte, von da oben runter zu hupfen." Für den Kampf Mann gegen Mann in der Loipe ist er geboren worden. "Wenn es in Schlussrunde geht und ich bin läuferisch gut drauf, dann trau ich mir zu, die Weltbesten zu schlagen. Auch ein Martin Fourcade hat gegen mich schon den Kürzeren gezogen. Da schießt mir das Adrenalin rein, da kann ich an meine Grenzen gehen."

Das Thema Doping tangiert Landertinger weniger. "Ich bin vielleicht gutgläubig, aber wenn jemand dopt, dann wird er irgendwann auch erwischt. Wenn ich in Topform bin und einen guten Ski hab, heißt das außerdem nicht, dass ich jemanden nicht schlagen kann, der gedopt ist. So viel macht das im Biathlon auch wegen dem Schießen nicht aus."

Um beim Biathlon Medaillen und Stockerlplätze zu erreichen, ist die Laufleistung aber dennoch vorrangig. "Wenn du aus eigener Kraft und ohne Schwäche des Gegners unter die besten Drei laufen kannst, bist du dabei", sagt der WM-Silbermedaillengewinner von Oslo 2000 und jetzige ÖSV-Trainer Ludwig Gredler. "Fehlen dir nur sechs oder sieben Prozent, hast du keine Chance." Im ÖSV wird das läuferische Potenzial im Nachwuchs genau analysiert. In diesem Bereich ist es viel schwieriger, in die Weltspitze vorzudringen.

Am Schießstand

Die große mentale Herausforderung ist der Umgang mit der Waffe. Für Dominik Landertinger ist es die Kunst, in einer Drucksituation, wenn es also um eine Medaille geht, genauso gut zu schießen wie wenn es "nur" um einen Platz unter den besten 20 geht. Landertinger ist kein spiritueller Typ, macht aber mit dem ehemaligen Beachvolleyball-Spieler Thomas Schroffenegger Mentaltraining. "Schießen kann man lernen ", sagt Ludwig Gredler. Im Trockentraining wohlgemerkt. "Mit einem Ruhepuls Scheiben zu treffen, kann leicht einmal jemand."

"Mit einem Ruhepuls Scheiben zu treffen, kann leicht einmal jemand."

Wenn aber die Lungen nach Sauerstoff schreien und sich der Brustkorb weitet, wird es brutal. 50 Meter liegen zwischen Waffe und Zielscheibe, deren viereinhalb Zentimeter Durchmesser im Liegendschießen winzig sind. Im Stehen sieht das Reglement immerhin elfeinhalb Zentimeter große Scheiben vor. Jeder Schuss verheißt Spannung. Auch deshalb ist Biathlon gemessen am Zuschauerinteresse eine populäre Wintersportart. Fernsehanstalten hegen nun die Idee, den Puls der Athleten bei den Übertragungen einzublenden. "Das klingt sehr spannend. Aber man müsste den Puls anders messen als über den Brustgurt, weil der kann beim Laufen stören."

Der dominierende Martin Fourcade steigert seine Trefferquote in dieser Saison auf 91 Prozent. Dominik Landertinger hält bei 81 Prozent. 2013/14 lagen die beiden mit 88 Prozent gleichauf.
Liegend schießt es sich leichter. Dominik Landertinger trifft 90 Prozent, stehend kommt er aktuell auf 72 Prozent. Martin Fourcade ist mit 89 Prozent auch stehend eine Macht.

Das Trainingsprogramm eines Biathleten hat es in sich. So immens die psychische Belastung ist, so gewaltig sind auch die Trainingsumfänge. Gredler: "Landis Ziel sind tausend Stunden motorisches Training im Jahr. Dazu benötigt er aber auch bis zu 500 Stunden Schusstraining. Eine enorme psychische Challenge. Ein Langläufer geht in der Früh 50 Kilometer auf die Loipe und ist zu Mittag fertig. Ein Biathlet braucht viel mehr Zeit fürs Training."

Der ÖSV bildet Biathleten an Stützpunkten etwa in Saalfelden, Eisenerz, Stams oder Schladming aus. Ludwig Gredler pflegt einen realistischen Zugang zu den Ausbildungszielen. "Wenn wir alle fünf bis zehn Jahre einen Diamanten im Nachwuchs dabei haben, müssen wir zufrieden sein." Wichtigstes Kriterium: "Die Jungen müssen das wollen."

Und Dominik Landertinger wollte. Der Vater führte als gelernter Koch ein Alpengasthaus, Landertinger hirschte als Kind viel in den Bergen herum, "Computerspiele hat es bei uns nicht gegeben." Dafür hatte er schnell sportliche Vorbilder. Hermann Maier und natürlich Ole Einar Björndalen.

Im Ziel

Wann Landertinger realisierte, dass er mit der Biathlon-Weltklasse mithalten konnte? "Schon nach der Zieleinfahrt bei meinem ersten Weltcup-Start (ein dritter Platz mit der Staffel, Anm.) wusste ich, dass der Weg stimmt."

"Mit 42 Jahren werde ich sicher nicht mehr durch die Wälder jagen."

Im Ziel ist der Kopf leer, das Laktat schießt in den Körper. Wenn du total ausgelaugt bist, hat jeder normale Mensch immer noch eine Schutzreserve von 20 Prozent, die nur im Todeskampf angezapft werden kann", sagte Landertinger einmal in einem Interview. "Ich kann aus dieser Reserve vielleicht noch bis zu zehn Prozent schöpfen." Im Sommer wird intensiver trainiert als im Winter. Eine Pause gönnt sich Landertinger nur zwei Wochen im April. Der 28-Jährige lebt Biathlon. Aber in einem Punkt eifert er seinem Idol Björndalen nicht nach. "Mit 42 Jahren werde ich sicher nicht mehr durch die Wälder jagen." Der Norweger steht seit 30 Jahren auf der Schießmatte, seit 1992 dreht er seine Runden im Weltcup.

In Pension kann und will der Heeresportler Dominik Landertinger nach seiner sportlichen Karriere aber auch nicht gehen. Ein Weltcup-Sieg im Biathlon bringt 13.000 Euro. In der vergangenen Saison verdiente Landertinger etwas mehr als 55.000 Euro an Preisgeldern. Eine Ausnahme bildet Gesamtweltcup-Sieger Martin Fourcade, der mit 285.000 Euro der Branchenkrösus ist. Landertinger: "Wir werden nicht astronomisch bezahlt wie die Fußballer. Aber ich bin zufrieden, man darf nicht jammern. Vor 25 Jahren gab es überhaupt kein Geld. Heute verdienen Biathleten mehr als so manche Skifahrer." (Florian Vetter, 7.2.2017)