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Trump-Berater Steve Bannon und Kellyanne Conway.

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Medienwissenschafter Josef Trappel: "Die Ausbreitung des Trump-Bannon-Conway-Morasts führt nun dazu, dass die von ihnen geschmähten klassischen Medien neue Wertschätzung erfahren".

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Kellyanne Conway zeigte großartiges rhetorisches Talent, als sie am 22. Januar 2017 in einem Fernsehinterview von "alternative facts" sprach. Sie brachte souverän auf den Punkt, wodurch ihr Chef, Donald Trump, im Wahlkampf so viele Menschen verstört hatte: durch den Umgang mit der Wahrheit. Hier geht es nicht mehr um ein bemühtes Uminterpretieren unliebsamer Fakten, sondern um ein strategisches Platzieren von Unwahrheiten mit dem Ziel, andere öffentlich zu diskreditieren und zu beschädigen.

Conways rhetorisches Talent äußert sich in der Fähigkeit, dieses Giftspritzen auf den Punkt zu bringen: Passen die Fakten nicht, dann erfinden wir eben "alternative facts". Eine Meisterleistung, die Conway im Interview eher herausgerutscht ist, als sie von dem NBC-Reporter in ein Wortgefecht verwickelt wurde. Was bisher eine Lüge war, heißt seither "alternative fact".

Dabei hat Conway rhetorisch keineswegs das Rad neu erfunden, sondern lediglich die Political Correctness überraschend auf ein neues Terrain geführt. Aus einem "Ausländer" ist längst ein "Mensch mit Migrationshintergrund" geworden, aus der "Putzfrau" die "Raumpflegerin" und aus dem "Behinderten" ein "physisch Herausgeforderter". Politisch korrekt ist die Rücksichtnahme auf Schwächere oder Schutzbedürftige in der Gesellschaft, indem man sie zumindest sprachlich nicht diskriminiert. In Conways Rhetorik ist es die Lüge, die der Rücksichtnahme bedarf: Reden wir doch lieber von alternativen Fakten. Geben wir der hilfsbedürftigen Lüge doch eine neue Chance im öffentlichen Diskurs!

Gift der Lüge

Diese Rhetorik ist nicht nur sprachlich ein schweres Foul, sondern vor allem politisch. Und sie verletzt die Grundlage der öffentlichen Kommunikation. Wenn sich Kommunikationspartner gegenseitig nicht mehr vertrauen (können), wird Verstehen unmöglich. Wenn man einander nicht versteht, ist man nicht in der Lage, gemeinsame Regeln für das Zusammenleben auszuhandeln. Das Gift der Lüge zersetzt also nicht nur die politische Kultur, sie zerstört auch die Verständigungsbasis zwischen den Menschen.

Lügen, Halbwahrheiten und das Verschweigen von Tatsachen zählen allerdings zum alltäglichen Repertoire des zwischenmenschlichen Zusammenlebens und sind gewiss auch gelegentlich hilfreiche Instrumente, um andere zu schonen oder nicht vor den Kopf zu stoßen. Wie im privaten und geschäftlichen Leben empfiehlt sich aber auch in der Politik ein sparsamer Einsatz dieser Instrumente. Der Nahe Osten sähe heute wohl anders aus, hätte George W. Bush 2003 auf die Lüge von der Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak verzichtet.

Aufpasserfunktion der Medien

Demokratisch organisierte Gesellschaften wollen und dürfen politische, wirtschaftliche und andere kollektive Fehlleistungen nicht zulassen. Sosehr wir in unserem persönlichen Umfeld darum besorgt sind, unsere Entscheidungen nicht auf falsche Behauptungen zu stützen, sosehr braucht ein Gemeinwesen Mechanismen, die diese Aufgabe stellvertretend für uns übernehmen. Diese "checks and balances" sind an vielen Orten eingebaut, etwa in der Sozialpartnerschaft oder durch die parlamentarischen Rechte der Oppositionsparteien. Im Alltag haben wir diese Aufpasserfunktion den Massenmedien übertragen. Guter, professioneller Journalismus entlarvt Lügen und zieht die Verantwortlichen öffentlich zur Rechenschaft.

Spektakuläre Enthüllungen sind journalistische Highlights – und sie verkaufen sich gut. Der wirtschaftliche Erfolg von Massenmedien hängt mit solchen journalistischen Erfolgen eng zusammen. Aber auch Gerüchte und Halbwahrheiten haben ihren Marktwert. Diese sind der Welt der Massenmedien nicht fremd. Besonders gut blühen und gedeihen sie aber in den sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Weil dieser Morast aus ungeprüften Fakten, Gerüchten und Halbwahrheiten im Internet im Überfluss und dazu noch kostenlos erhältlich ist, verzichten viele Menschen auf die Nutzung klassischer Massenmedien. Sie verursachen durch dieses Verhalten eine existenzbedrohende ökonomische Medienkrise.

Donald Trump ist der Meister des sorgfältig angelegten Morasts aus Gerüchten und Halbwahrheiten. Unterstützt übrigens von seinem Mastermind und Berater Steve Bannon, der sich zweifelhafte Verdienste dadurch erworben hat, die Halbwahrheiten-Schleuder Breitbart.com geleitet und populär gemacht zu haben. Man sieht, der Morast hat System.

Trendwende

So weit, so schlecht. Aber das Triumvirat Trump/Bannon/Conway schickt sich an, ungewollt positive externe Effekte auszulösen. Davon ist in der Ökonomie dann die Rede, wenn durch Akteurshandeln Auswirkungen auftreten, die nicht durch den Preis eines Gutes oder einer Dienstleistung abgegolten werden. Die Ausbreitung des Trump-Bannon-Conway-Morasts führt nun dazu, dass die von ihnen geschmähten klassischen Medien neue Wertschätzung erfahren. Anlässlich der Bilanzpressekonferenz hat die "New York Times" Anfang Februar bekanntgegeben, dass ihre Abonnementbasis wieder breiter wird und mehr Menschen bereit sind, für geprüfte Qualitätsinformation auch zu bezahlen.

Das könnte eine Trendwende darstellen. In einer virtuellen Internetwelt voller Halbwahrheiten wächst das Bedürfnis der Menschen nach solider Information. Ungewissheit ist schwer zu ertragen, und keiner will auf Dauer falschen Nachrichten aufsitzen. Professionelle redaktionelle Arbeit bedient ein großes Bedürfnis. Auch in Österreich. 65 Prozent der Bevölkerung sind "äußerst" oder "sehr" an Nachrichten interessiert (Reuters Digital News Report Austria 2016). Für die Massenmedien besteht die Herausforderung nun darin, trotz der schlechten ökonomischen Basis dieses Interesse durch verlässliche, fakten- und wahrheitsgetreue redaktionelle Arbeit zu bedienen.

Trump könnte damit ein Kunststück gelingen, das niemand vorausgesehen hat: das Comeback der Qualitätsmedien. (Josef Trappel, 6.2.2017)