Vokale Ausnahmeerscheinung im trostlosen szenischen Ambiente: Anna Netrebko (als Leonora) in Verdis "Trovatore".

Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Wien – Meisteropern wie Giuseppe Verdis Trovatore gleichen harten Musiktheaternüssen. Selbige – im Sinne des geglückten Gesamtkunstwerks – zu knacken gelingt in etwa so oft, wie es das hiesige Nationalteam schafft, sich für ein internationales Kickerturnier zu qualifizieren. An der Staatsoper wurde das heikle Opus in den frühen 1990er-Jahren – als Ioan Holender das Haus führte – in der Version von Regisseur István Szabó zum herzhaften Skandal.

Das "Konzert in Kostümen" (so Dirigent Zubin Mehta damals) zeigte allerdings 2014 selbst unter großzügigen Salzburger Festivalbedingungen, dass ein fantasievoller Gestalter – wie der Lette Alvis Hermanis – beim Trovatore im Museum der Renaissance und der Ratlosigkeit landen kann.

Insofern durfte es nicht wundern, dass sich die Staatsoper, die im Regiebereich mit international strahlenden Operndeutungen recht konsequent geizt, zu keinem Großwurf aufschwingen konnte.

Daniele Abbado transferierte die Story aus dem fernen 15. Jahrhundert, als die spanische Inquisition eingeführt wurde, in den Bürgerkrieg auf der Iberischen Halbinsel, der im vorigen Jahrhundert dem Zweiten Weltkrieg vorausging. Warum Abbado dies tat, blieb ungeklärt, was keine Katastrophe wäre. Wie immer – es ist zu wiederholen, auch wenn es ermüden mag – entscheidet über das Wohl einer Inszenierung nicht die Tatsache, wie sie "geschminkt" oder in welch historisches Energiefeld sie gebeamt wird.

Es braucht – ob alt oder modisch, ob subjektiv gedeutet oder durch die Brille eines engen Werktreuebegriffs betrachtet – nur das Beleben der Charaktere. Das Darstellen ihrer Befindlichkeiten, das Modellieren von Interaktion hebt Inszenierungen nun mal auf ein Niveau der Glaubwürdigkeit.

Eine Orgie der Statik

Natürlich darf Sängern szenisch nicht abverlangt werden, was ihren Gesang gefährdet. Und besonders beim Trovatore ist Rücksicht geboten. Allerdings scheint fraglich, ob Choristen so reglos wirken müssen, als wäre ihnen ein Sedativum verabreicht worden. Und an szenische Unterforderung grenzt, wenn etwa Luna singt, die Wut würde ihn versengen, und er dabei wirkt, als blättere er im Terminkalender.

Hinzu kommen trostlose Szenenwechsel: Wenn im gewölbeartigen Einheitsraum (Ausstattung: Graziano Gregori) die Bürgerkriegsfraktion um Manrico langsam aufbricht, kommen parallel ihre schwarz uniformierten Feinde vorbei, um gemütlich Stühle wegzubringen. Das wirkt handwerklich bescheiden und ist von groteskem Mehrwert – wie auch Szenen, in denen eine Kanone aufs Publikum gerichtet wird oder Lunas Soldateska Wäsche aufhängt oder sich mit ambitionierten Liegestützen bürgerkriegsfit hält. Opernkabarett der besten Art.

Wie in Salzburg wird die szenische Verlegenheit edel ummantelt durch Anna Netrebko (als Leonora). Sie ist das energetische Zentrum, ihr facettenreicher Sopran durchwandert mit delikater Legatokultur und ungefährdeter Klangqualität alle Stimm- und Ausdruckslagen.

Was Netrebko an Wechseln zwischen süßem Pianissimo und dramatischer Attacke vollbringt, wird zum Inbegriff des durch Leichtigkeit getragenen Schöngesangs, den das Licht (Alessandro Carletti) mitunter in den Kontext atmosphärisch einnehmender Einsamkeitsbilder stellt.

Nobler Klang rettet

Das Vokale um Netrebko herum: Noble Linienführung und delikates Timbre offeriert Ludovic Tézier (als Luna, den er szenisch leider kaum konturiert); beachtlich auch Jongmin Park (als Ferrando) und robust, aber etwas schrill an exponierten Stellen Luciana D'Intino (als Azucena). Roberto Alagna (als Manrico) verfügt über ein kerniges Timbre, das ihm Charisma verleiht. Leider fehlt es an Flexibilität, um Phrasen dynamisch und klanglich abzustufen. Und zweifellos bringt die Partie Alagna an seine Grenzen. Bei Di quella pira wirkt er denn auch schließlich eher kurzatmig ...

Dirigent Marco Armiliato betont die noble, feine Seite des philharmonischen Klangs. Das wirkt über weite Strecken nicht nur rücksichtsvoll den Sängern gegenüber. Es befreit die Musik auch vom polternden Gestus, der sich bei Verdi-Interpretationen gern durch Überambition einzustellen pflegt. Applaus für alle – bis auf den Regisseur, dem doch signifikanter Unmut entgegenbuhte. (Ljubiša Tošić, 6.2.2017)