Kristian Benedikt wurde als Ersatzmann erst am Tag vor der Aufführung nach Wien eingeflogen. Von dritter Wahl war ihm aber nichts anzumerken.

Foto: Staatsoper / Michael Pöhn

Wien – "Viel Glück!", wünschte Direktor Dominique Meyer vor der Vorstellung, und es blieb offen, ob er dabei vor allem das Publikum, sich selbst oder doch die Künstler meinte. Bakterien und Viren – auch sie nannte der Hausherr beim Namen – hatten fröhliche Runden durch die Staatsoper gedreht, sodass als Höhepunkt eines beispiellosen winterlichen Umbesetzungsreigens erst der dritte Tenor tatsächlich den Protagonisten von Verdis Otello geben konnte – mit nur einer Probe in der anspruchsvollen Inszenierung nach Christine Mielitz.

Mehrere Rollendebüts gerieten demgegenüber fast schon zur Routine – und das Geschehen im Orchestergraben ohnehin, wobei Dirigent Marco Armiliato stetes Feuer zu entfachen und am Lodern zu halten verstand. Das psychologisierende Stürmen des Meeres, das Bohren des Zweifels an der Treue der Gattin, ihre heilige Reinheit – all das malte Armiliato überdeutlich, präzise und mit zwingender Leidenschaft.

Es ließe sich der bewegten Vorgeschichte gemäß auch ein wenig davon berichten, dass sie ihre Spuren im Ergebnis hinterließ. Doch funktionierte an diesem Opernabend so viel, dass dies nicht verschwiegen werden sollte.

So gab Carlos Álvarez dem Jago mancher stimmlicher Blässe zum Trotz eine immerhin solide Grundierung und viel psychologischen Tiefgang, der mehr als nur abstrakte Bosheit erkennen ließ, Jinxu Xiahou war ein warm timbrierter Cassio, die Desdemona von Olga Bezsmertna hielt sich meist im wohligen, gerundeten Bereich auf und ließ ihre Stimme voll strömen, folgte dabei auch in Verzweiflungsmomenten dem Primat der Schönheit, was sich unter Verweis auf ihre "Reinheit" freilich unschwer nachvollziehen lässt.

Das Glück war dem Abend letztlich hold, auch was den Otello von Kristian Benedikt betraf, der damit Hausdebüt feierte. Mit Ausdauer, und zwar begrenzter, doch vorhandener Strahlkraft zeichnete er die Qualen dieser geschundenen Seele bis in die Verrücktheit des Mordenden packend nach. Dieser Mohr hat mehr als seine Schuldigkeit getan – von dritter Wahl keine Spur. (Daniel Ender, 7.2.2017)