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Wie lang die dritte Piste in der Kiste bleibt, hängt am Höchstgericht, das der Airport anrufen will.

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Wien – Die Absage an die dritte Start- und Landebahn am Flughafen Wien-Schwechat durch das Bundesverwaltungsgericht sorgte am Tag nach der Bekanntmachung für helle Aufregung – und Empörung. Umweltschützer und Grüne jubelten, seitens Flughafen, Verkehrsministerium, Gewerkschaft und Wirtschaftskammer hagelte es Kritik.

Denn im Zuge langwieriger Verhandlungen in dem seit 1999 schwelenden Verfahren hatten sich Anrainer, Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen in einem aufwendigen Mediationsverfahren auf eine Variante geeinigt, die negative Auswirkungen für die Anrainer minimierte und dem Flughafen Auflagen und Investitionen auferlegte. Nun geht die Sorge um die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts um.

Revision angestrebt

Der Flughafen strebt nun eine außerordentliche Revision vor dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH) an und prüft darüber hinaus eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Das kündigte Flughafen-Vorstand Günther Ofner im Gespräch mit dem STANDARD an. Denn das Urteil sei "falsch und diskriminierend" und hochgradig widersprüchlich: "Das Gericht sagt, die Piste sei notwendig aufgrund der Flugsicherheit und zur Vermeidung von Unfällen, sie bringe Arbeitsplätze und Attraktivität für Region und Wirtschaftsstandort. Es kommt aber zu dem Schluss: die Erhaltung wertvollen Ackerlandes sei wichtiger." Das sei erratisch und unverständlich, und man werde Rechtsmittel einlegen, weil die Sorge vor steigendem CO2-Ausstoß über alle anderen Erwägungen gestellt wurde. "Das Bundesverwaltungsgericht macht sich mit diesem Urteil zu einem 'Über-Gesetzgeber'", echauffierte sich Ofner, "Arbeitsplätze, Wirtschaftsstandort, Sicherheit – all das ist plötzlich egal." Dabei änderten an der Versiegelung von jährlich 4200 Hektar Land die einmalig betroffenen 600 Hektar des Flughafens wohl nichts. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte kein Einfamilienhaus, keine Straße mehr gebaut werden und schon gar keine zusätzliche Betriebsanlage.

Verteidigung des Urteils

Dem widerspricht die Vorständin des Instituts für Umweltrecht der Uni Linz, Erika Wagner. Sie verteidigt das Urteil: Das Gericht argumentiere nicht mit Umweltschutz, was es hätte tun können, sondern es halte fest, dass mit dem Projekt das öffentliche Interesse an der Absenkung der im Klimaschutzvertrag von Paris verankerten CO2-Senkungsziele torpediert würde. "Aus meiner Sicht ist das Gericht sogar verpflichtet, so zu argumentieren, denn das Gericht muss das Gesetz anwenden", und dies sehe CO2-Reduktion vor.

Man werde sich nun "gut überlegen", ob 20.000 Quadratmeter an Fotovoltaik-Anlagen um 20 Millionen Euro gebaut werden, warnt Flughafen-Vorstand Ofner. Auch die Umstellung des Fuhrparks auf Elektromobilität könne man sich wohl sparen. Ohne dritte Piste werde der Flughafen Wien 2025 seine Kapazitätsgrenze erreichen, dann werde man Tickets für Start und Landung ausgeben müssen, ätzte Ofner. Konkurrenzflughäfen wie Bratislava und München könnten sich freuen. Im Jänner stieg das Passagieraufkommen am VIE um 7,9 Prozent auf 1,44 Millionen Reisende.

Hoher Kohlendioxid-Ausstoß

Als irritierend bezeichnen Kritiker des Urteils jedoch den Umstand, dass nicht erhoben wurde, wie viel CO2-Ausstoß entsteht, wenn in Spitzenzeiten zig Flugzeuge bis zu eine halbe Stunde auf Start- oder Landeerlaubnis warten müssen. Sachverhalte wie diese festzustellen sei Teil der materiellen Wahrheitsfindung, sagen mit der Materie vertraute Rechtsexperten. Liegen solche Fakten und Erkenntnisse aus dem Erstverfahren nicht vor, seien sie zu ermitteln. Im Urteil findet sich diesbezüglich aber kein Hinweis.

Was noch auffällt: Unter den 28 Klägern sind keine Anrainer und Bürgerinitiativen, die am Mediationsverfahren teilgenommen hatten, das zwecks gütlicher Einigung in dem Langzeitverfahren, (seit 1999) durchgeführt wurde.

Gespaltene Reaktion der Aktionäre

Dabei ist allerdings die Stadt Wien, mit einem Aktienpaket von 20 Prozent neben Niederösterreich der bestimmende Aktionär der Flughafen Wien AG. Entsprechend gespalten die Reaktionen aus dem Rathaus: Finanzstadträtin und Eigentümervertreterin Renate Brauner (SPÖ) will das Erkenntnis genau prüfen. Ihr Parteikollege Gemeinderat Erich Valentin sprach von einem "gefährlichen Urteil" und einer "Themenverfehlung". Gemäß Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz sei die Einhaltung der Klimaschutzpolitik kein Kriterium. Unter diesem Aspekt könne man jedes Infrastrukturprojekt vergessen.

Grüne jubeln

Jubel hingegen beim Koalitionspartner in der Stadtregierung: Umweltstadtrat Rüdiger Maresch fühlt sich ebenso bestätigt wie Niederösterreichs Grünen-Chefin Helga Krismer. Man habe 20 Jahre gegen Fluglärm und "Parallelpiste" gekämpft, nun gebe es ein Urteil im Interesse von Umwelt und Bevölkerung. Die rote Karte des Gerichts sollte der Bundesregierung zu denken geben.

Kein Wort, warum Wien Kläger war. Der Grund: Die Stadtregierung erhoffte klärende Worte des Gerichts in Sachen Minimierungsgebot, hegt sie doch seit Jahren den Verdacht, dass insbesondere an Wochenenden zu viele Flugzeuge über das Stadtgebiet fliegen. Die Hoffnung wurde enttäuscht, das Thema wird nicht einmal gestreift. (ung, 10.2.2017)