Über ein spezielles Geschirr ist Valeria Holinger mit ihrer fünfjährigen Stute Usbekia verbunden. Das Skikjöring steigt jährlich im Rahmen des "White Turf" auf dem St. Moritzersee.

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Holinger (26) will "Königin des Engadins" werden.

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Am Tag nach dem großen Sieg steht Usbekia friedlich im Stall. Karotten und Äpfel hat sie als Belohnung bekommen. Es war ein Start-Ziel-Sieg. Am Sonntagnachmittag, als Beat Feuz oben auf der Corviglia zu Abfahrtsgold für die Schweiz raste, waren unten auf dem zugefrorenen St. Moritzersee Usbekia und Valeria Holinger nicht zu schlagen.

Als Kind hat Holinger auch davon geträumt, bei Ski-Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen anzutreten. Bei der WM 2003 in St. Moritz sang Holinger mit ihren Schulkollegen bei der Eröffnungsfeier.

Als Kind ist Holinger (26) aus St. Moritz auch Rennen gegen Lara Gut gefahren. "Sie hat damals schon alles gewonnen." Holinger fuhr ein paar Fis-Rennen. Ihr bestes Ergebnis – ein 28. Platz in einem Riesentorlauf. Das war 2006. Kurze Zeit später war ihre Skikarriere beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Immer wieder war Holinger verletzt. Das Knie machte einfach nicht mit.

Ungewöhnlich

Und jetzt hat Holinger, die als Marketingassistentin bei der Skifirma Head arbeitet, doch noch einen großen Sieg auf Ski herausgeholt. Beim "White Turf" gewann sie am Sonntag mit Usbekia das Skikjöring-Rennen. In St. Moritz werden viele gewöhnliche und ungewöhnliche Sportarten betrieben. Skikjöring zählt zur zweiten Kategorie. Dabei wird eine Person auf Skiern von einem unberittenen Pferd gezogen. Verbunden sind Mensch und Tier über ein spezielles Geschirr. In dieser Form gibt es das Skikjöring nur in St. Moritz.

"Go Becki", rief Holinger ihrer fünfjährigen englischen Vollblutstute Usbekia beim Rennen am Sonntag zu. Und wie Becki ging. Gleich bei ihrem White-Turf-Debüt galoppierte Usbekia zum Sieg. "Sie war gut lenkbar", sagt Holinger. Bei etwa 40 Prozent liege der Einfluss des Skifahrers bzw. der Skifahrerin. Eine Peitsche ist beim Skikjöring nicht erlaubt.

Erst zwei Wochen vor dem Rennen hat Holinger gemeinsam mit sechs anderen die Stute gekauft. Gekannt hatte sie das Pferd schon davor. Auf Sand und Gras hatte sie bereits einige Rennen gewonnen. Als ihr Freund, ein Profijockey aus Deutschland, Usbekia einmal geritten hat, hatte Holinger sofort das Gefühl, dass das Pferd für Skikjöring geeignet sein könnte. Wie viel Usbekia gekostet hat, will sie nicht verraten. Mit dem Preisgeld von 6300 Franken ist zumindest ein Teil der Kosten hereingespielt. Nur als Fahrerin hätte sie kein Preisgeld gewonnen. "Man macht das Skikjöring nicht des Geldes wegen", sagt sie.

Zweite Siegerin

Schon Holingers Vater war in dem Sport aktiv. Die Tochter fing siebenjährig mit dem Reiten an, mit 14 begann sie Rennpferde zu reiten. Und Skifahren konnte sie ohnehin. Also war Skikjöring naheliegend. 18-jährig – jünger ist nicht möglich – legte sie die Skikjöring-Prüfung ab. Holinger bestand und fuhr wenig später ihr erstes Rennen. Das war 2009. Die St. Moritzerin war die erste weibliche Teilnehmerin beim jährlich stattfindenen Skikjöring auf dem St. Moritzersee seit 1983.

Seither hat sie jedes Jahr teilgenommen. Das eine oder Mal war sie schon knapp dran am Sieg. Gerne hätte sie als erste Frau gewonnen, aber dann kam ihr Leta Joos im Jahr 2015 zuvor. Jetzt ist sie eben die zweite Siegerin. "Sehr besonders", sagt sie, sei das. Am Sonntag war Holinger eine von drei Teilnehmerinnen. Lange Zeit war Skikjöring eine eindeutige Männerdomäne.

Das Skikjöring, sagt Holinger, sei körperlich nicht extrem anstrengend. Aber es hinterlässt Spuren. Diverse blaue Flecken hat sie nach dem Rennen auf den Beinen – von den Schnee- und Eisbrocken, die auf einen zugeflogen kommen.

"Tempo, Mut, Adrenalin"

Zwei- bis dreimal pro Woche trainiert Holinger Fitness, Kraft und Ausdauer. Reiten geht sie zudem regelmäßig. Im Skikjöring komme es vor allem auf die Konzentration an. Sie macht deshalb auch Mentaltraining. Bei der Frage nach der Faszination am Skikjöring nennt sie drei Schlagworte: "Tempo, Mut, Adrenalin." Skikjöring ist nicht ungefährlich. Mit fast 60 km/h starten die Pferde ins 2700 Meter lange Rennen. Für Holinger ist bisher alles gut gegangen. Angst sollte man jedenfalls nicht haben. "Dann muss man aufhören."

Das ist für Holinger vorerst kein Thema. Sie will die "Königin des Engadins" werden. An den kommenden beiden Sonntagen wird wieder auf dem See galoppiert. Der oder die Punktebeste holt den Gesamtsieg. Im Skikjöring wäre Holinger die erste Königin des Engadins. Und Usbekia würde bestimmt wieder mit ein paar Karotten und Äpfeln belohnt werden. (Birgit Riezinger aus St. Moritz, 14.2. 2017)