Vor knapp zwei Jahren, am 24. Februar 2015, starb hinter dieser Zellentür der Justizanstalt Josefstadt Rachat Alijew. Die Justiz bleibt dabei: Es war Suizid.

Foto: APA/Fohringer

Wien – Für die Staatsanwaltschaft Wien ist die Causa Rachat Alijew abgeschlossen. Auch aus dem Ergänzungsgutachten des Instituts für Rechtsmedizin St. Gallen zum Tod des früheren kasachischen Botschafters in Österreich ergeben sich "keine Anhaltspunkte für eine Fremdbeteiligung am Ableben des DDr. Rachat Alijew", teilte die Anklagebehörde am Dienstag mit. Sämtliche Befunde ließen sich "widerspruchsfrei einem suizidalen Erhängen zuordnen". Das Ermittlungsverfahren bleibe eingestellt.

Der unter Mordverdacht stehende Alijew war im Februar 2015, noch vor seiner Hauptverhandlung, tot im Toilettenbereich seiner Zelle in der Justizanstalt Josefstadt aufgefunden worden. Er soll sich mit einer Mullbinde erhängt haben. Der Leichnam wurde zwei Mal, in Wien und in St. Gallen, obduziert, beide Institute bestätigten, dass es sich um Suizid gehandelt habe. Ein Privatgutachten, das die Anwälte von Alijews Witwe in Auftrag gaben, kam hingegen zu dem Schluss, dass er "durch fremde Hand" zu Tode gekommen sei. Dabei stützte sich der deutsche Gutachter Bernd Brinkmann unter anderem auf Fotos vom Tatort und von der Leiche, die den Schweizern nicht zur Verfügung gestanden waren. Die Vertreter der Witwe, Manfred und Klaus Ainedter, stellten den Antrag auf Fortführung des Verfahrens.

Kaum Fachliteratur über "Burking"

Daraufhin schickte die Staatsanwaltschaft die Fotos nach St. Gallen und bestellte das Ergänzungsgutachten. In der 32-seitigen Expertise, die dem STANDARD vorliegt, wird Brinkmanns Theorie – Alijew sei durch "Burking" (Druckausübung auf den Oberkörper bei gleichzeitigem Zuhalten von Mund und Nase) – entkräftet. Dafür werden eigene Untersuchungen und zahlreiche Detailverweise auf die Fachliteratur, auch auf wissenschaftliche Beiträge von Brinkmann, angeführt. Auch hinsichtlich des sogenannten Burkings habe man recherchiert, aber dazu gebe es "in der verfügbaren internationalen Fachliteratur wenige Publikationen".

Zusammenfassend stellen die Schweizer Mediziner fest, dass die "pauschale Beurteilung" Brinkmanns "in der hier vorgetragenen Absolutheit nicht bestätigt werden kann". Die Schweizer bleiben daher bei ihrer Selbstmorddiagnose – "auch unter Berücksichtigung der nachträglich zur Verfügung gestellten Lichtbildmappe", umso mehr, als "Hinweise auf eine körperliche Auseinandersetzung oder Halte- bzw. Griffverletzung" (durch Fremdeinwirkung; Anm.) fehlten. Sämtliche Befunde ließen sich "widerspruchsfrei einem suizidalen Erhängen zuordnen", heißt es im Ergänzungsgutachten.

Obduktionsfotos

Die kritische Frage der Österreicher, ob es Gründe es für die Schweizer gegeben habe, für ihr erstes Gutachten die Obduktionsfotos und Fotos aus der Zelle in der Justizanstalt Josefstadt für "entbehrlich" zu halten, beantworten die Schweizer diplomatisch bis kritisch. Von der Obduktion in Wien habe man keine Fotos gebraucht, weil man bei der Nachobduktion zur gleichen Erkenntnis wie die Wiener gekommen sei. Dass es auch Fotos "von der Auffindung der Leiche" gegeben haben, habe sich aus den ihnen übersandten Unterlagen nicht ergeben. Und: Man folge dem "Grundprinzip", dass der Auftraggeber "sämtliche Unterlagen zur Verfügung stelle, die dem Gutachter als Grundlage dienen sollen". Es habe allerdings auch keinen Grund gegeben, zusätzliche Unterlagen oder Fotodokumentationen anzufordern.

Das Schweizer Gutachten bestätigt außerdem an mehreren Stellen die Kritik der Anwälte von Alijews Witwe, wonach die Leiche "vor Eintreffen" der Rechtsmediziner und Kriminalisten in der Zelle "bereits verändert" worden war. Demnach liege "keine für die Rekonstruktion verwertbare kriminaltechnische bzw. rechtsmedizinische Dokumentation vor" – für die Details der Auffindung musste man sich daher mit Zeugenaussagen von Justizwachebeamten begnügen. Geht man nach ihnen, wurde das "Strangwerkzeug, eine Mullbinde", nach dem Auffinden Alijews durchtrennt, danach sei "der Torso hinter die WC-Muschel gefallen".

Anwalt nicht überrascht

Rechtsanwalt Klaus Ainedter zeigte sich im STANDARD-Gespräch wenig überrascht vom Ergebnis des Ergänzungsgutachtens: "Es war nicht zu erwarten, dass die Autoren ihr erstes Gutachten konterkarieren." Er werde das Gutachten nun wiederum von Brinkmann prüfen lassen.

Theoretisch könnte es noch einen Streit mit der Staatsanwaltschaft geben, ob nicht mit dem Ergänzungsgutachten das Ermittlungsverfahren ohnehin schon fortgeführt wurde. Der von der Witwe eingebrachte Fortführungsantrag liegt noch unerledigt bei Gericht. (Renate Graber, Michael Simoner, 14.2.2017)