Am Mittwoch besetzten rund 100 Aktivisten die Baustelle südlich des Puchstegs. Nach einer friedlichen Räumung ging es wieder weiter mit der Arbeit am Kraftwerk. Vorerst. Die Gegner wollen ihren Widerstand nicht aufgeben und haben breite Unterstützung aus der Wissenschaft.

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Graz – "Die Maschinen stehen still", sagt ein Aktivist am Mittagmorgen stolz. Er steht wie seine rund hundert Mitstreiter, Männer und Frauen verschiedenen Alters, auf dem Areal der Baustelle an der Mur, südlich des Puchsteges, wo Bagger und Lastwagen am Bau des Murkraftwerkes mitwirken sollten. Die Umrisse einiger Kraftwerksgegner zeichnen sich auf einem mehrere Meter hohen Damm gegen den leuchtend blauen Himmel ab, andere sitzen auf gelben Baggern.

Etwa 60 Polizisten und rund 20 Mitarbeiter einer Securityfirma stehen herum und beobachten die friedliche Szenerie einer Baustellenbesetzung. Arbeiter warten, keiner weiß, wie es weitergeht.

"Nagl versteckt sich"

Viele Aktivisten sind mit Atemschutzmasken oder Schals vermummt. Er habe beobachtet, erzählt ein Mann dem Standard, wie sich ein Mann auf eine Baggerschaufel hängte und der Baggerfahrer versuchte, ihn abzuwerfen. "Ich habe Videos davon!" Ein Polizist kommt dazu und sagt: "Warum zeigen Sie das nicht an?" Der Mann mit dem Schal vor dem Gesicht schüttelt den Kopf. "Anonym kann man es ja nicht anzeigen, was glauben Sie?" Der Polizist schüttelt seinerseits den Kopf und geht weiter. Gegen 13 Uhr wird die Baustelle geräumt. Rund 200 Polizisten sind es mittlerweile, die rund zehn Aktivisten wegtragen, alle anderen gehen von selbst.

Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) hat die Kraftwerksgegner unlängst pauschal als "Chaoten" bezeichnet und ist bisher nie auf der Baustelle aufgetaucht. "Der versteckt sich im Rathaus", sagt ein Aktivist. Noch vor einigen Jahren war Nagl selbst gegen ein neues Kraftwerk und stattdessen für den Ausbau von Fotovoltaik.

1996 als unrentabel eingestuft

"Auch Politiker sind wankelmütig", sagt Helmut Hoffmann, einstiger Hochschulprofessor für Raumplanung, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Architektur, der mehrere Kraftwerke geplant hat. Auch an genau diesem Standort. "Es wurde aber 1996 abgebrochen, weil man es als unrentabel und riskant einstufte", sagt er, "und auch noch 2016 hat der Stadtrechnungshof gesagt, Graz könne sich das nicht leisten." Er sei nicht gegen Wasserkraft, es komme auf den Ort an, so Hoffmann.

"In der Steiermark gibt es, anders als an der Donau, fast keinen Auwald mehr", sagt Christian Berg, der Leiter des Botanischen Gartens der Uni Graz. Hier sei in den letzten Tagen ein "unglaublicher Schatz" gerodet worden, "einer der schönsten Bestände, die ich kenne", erzählt Berg, der in einem internationalen Netzwerk zum Schutz der Pflanzenwelt tätig ist. In dem betroffenen Gebiet sammelte man Samen für die Millennium Seed Bank in London. "Wir wussten nicht, dass es eine historische Sammlung wird", sagt Berg. Vor allem an die 100 Jahre alte Flatterulmen seien für immer verloren. Dass Bäume und darauf wachsendes Moos Feinstaub binden, sei "völlig unumstritten".

Um das "abzustreiten, müsste man Gefälligkeitsgutachten machen", so Berg, "aber wir befinden uns offenbar im Zeitalter der alternativen Fakten". Dass manche Aktivisten "radikal" auftreten, findet Berg schade: "Sie haben das gar nicht nötig, denn sie haben ohnehin recht." (Colette M. Schmidt, 15.2.2017)