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Weltweit wurden die Implantate aus billigem Industrie-Silikon der französischen Firma Poly Implant Prothese (PIP) Zehntausenden Frauen eingesetzt.

Foto: APA/EPA/GUILLAUME HORCAJUELO

Luxemburg – Der Skandal um Brustimplantate aus billigem Industrie-Silikon der französischen Firma Poly Implant Prothese (PIP) beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Weltweit wurden die Implantate Zehntausenden Frauen eingesetzt. In Österreich vertritt der Verein für Konsumenteninformation (VKI) rund 70 Betroffene.

Die Chronologie der Ereignisse: Im März 2010 nimmt die zuständige Behörde in Frankreich die Brustimplantate wegen der hohen Reißanfälligkeit vom Markt. PIP meldet Konkurs an und wird später zwangsliquidiert. Zwischen April bis Juli 2010 ermittelt Frankreichs Justiz wegen Betrugs und Gesundheitsgefährdung. Erste Zivilklagen gehen ein.

Im November 2010 erstattet eine Opfervereinigung Anzeige gegen den deutschen TÜV Rheinland, der die PIP-Implantate zertifiziert hatte. Dezember 2011: Nach dem Tod einer Frau mit PIP-Implantaten werden Vorermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und Tötung eingeleitet. Die Behörden empfehlen 30.000 französischen Frauen die Entfernung der Implantate.

Die Rolle des TÜV

Dezember 2013: Der PIP-Gründer wird in Marseille wegen Betrugs und Verbrauchertäuschung zu vier Jahren Haft und einer Geldstrafe von 75.000 Euro verurteilt. Ein Berufungsgericht bestätigt im Mai 2016 die Haftstrafe.

Im April 2015 legt der deutsche Bundesgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Fragen zur Auslegung europäischer Vorgaben bei der Kontrolle von Medizinprodukten vor, zu denen auch Silikonimplantate gehören. Hintergrund ist die Schmerzengeldklage einer Frau aus Deutschland. Sie wirft dem TÜV Rheinland vor, das Unternehmen PIP nicht ausreichend überwacht zu haben und verlangt 40.000 Euro Schmerzensgeld.

Juli 2015: Ein Berufungsgericht in Aix-en-Provence bescheinigt dem TÜV Rheinland, seine Verpflichtungen bei der Zertifizierung der PIP-Produkte erfüllt zu haben. Es hebt damit ein Urteil eines Gerichts in Toulon vom November 2013 auf, demzufolge die Prüforganisation seine Pflicht zur Kontrolle verletzt hatte und Importeure sowie Opfer entschädigen sollte.

Urteil vom Europäischen Gerichtshof

Jänner 2017: Das Handelsgericht in Toulon verurteilt den TÜV Rheinland erneut zu Schadenersatz in Höhe von insgesamt etwa 60 Millionen Euro, die es rund 20.000 Klägerinnen zuspricht.

Februar 2017: Der Europäische Gerichtshof urteilt, dass Stellen wie der TÜV nicht grundsätzlich verpflichtet sind, Medizinprodukte wie Implantate selbst zu prüfen oder unangekündigte Kontrollen bei den Herstellern durchzuführen. Bei Hinweisen auf Produktmängel müssten sie aber "alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen", um ihren Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nachzukommen.

Unklare Situation für Betroffene

Nach dem Urteil des EuGH sieht der österreichische Verein für Konsumenteninformation (VKI) durchaus Erfolge für die Opfer. Der EuGH sei den Schlussanträgen seiner Generalanwältin gefolgt, sagte VKI-Juristin Ulrike Wolf am Donnerstag in einer ersten Einschätzung. Sie müsse aber noch das gesamte Urteil näher betrachten.

Generalanwältin Eleanor Sharpston hatte im September 2016 empfohlen, den TÜV Rheinland haftbar zu machen, falls er Kenntnis von Produktfehlern hatte und seinen Überwachungspflichten zur Qualitätssicherung dennoch nicht nachkam. Der EuGH urteilte am Donnerstag, dass Prüfstellen bei Hinweisen auf Produktmängel "alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen" müssten, um ihren Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nachzukommen.

Wenn nun Verletzungen des TÜV vorliegen, weil es etwaige Hinweise gab, seien Schmerzengeld-Zahlungen weiter möglich, betonte Wolf. Es gebe in Frankreich Erstgerichte, die bereits anders geurteilt haben. "Das könnte zu dem absurden Ergebnis führen, dass die Klägerin in Deutschland abblitzt, aber Frauen in Frankreich erfolgreich wären", erläuterte die Expertin.

Kritik am EuGH-Urteil

Der deutsche TÜV wurde Mitte Jänner in Frankreich wegen der mangelhaften Brustimplantate der Firma PIP zur Zahlung von insgesamt 60 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. Der TÜV Rheinland kündigte jedoch Berufung an. Der VKI vertritt knapp 70 Geschädigte aus Österreich bei dem Verfahren in Frankreich. So sollen Entschädigungen bis zu einem Höchstbetrag von 3.000 Euro erreicht werden.

Die VKI-Juristin kritisierte, dass es durch das EuGH-Urteil "keine unangemeldeten Prüfpflichten" gibt. "Damit hätte der Skandal verhindert werden können", sagte Wolf. "Nur durch unangemeldete Inspektionen kann ich Betrügereien aufdecken." (APA, 16.2.2017)