Marcel Hirscher will sich stets verbessern. Konkurrenz und Niederlagen spornen ihn an.

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Das Wort Akribie fällt oft, wenn man mit Michael Pircher über Marcel Hirscher spricht. Natürlich ist Hirscher mit großem Talent gesegnet. "Aber Talent haben viele", sagt sein Trainer. Deshalb wird unaufhörlich gearbeitet. Ein Streben nach ständiger Verbesserung. Wenn etwas nicht passt? "Dann wird noch akribischer gearbeitet und getüftelt."

Nicht die WM war und ist in diesem Winter das große Ziel des Salzburgers, sondern der Gesamtweltcup. Pircher: "Weltmeister gibt es hunderte, Gesamtweltcupsieger gibt es nicht so viele. Und sechsfachen Gesamtweltcupsieger gibt es noch keinen." Hirscher ist auf bestem Weg, das Kunststück zu schaffen. 432 Punkte liegt er vor Alexis Pinturault und Henrik Kristoffersen. Es schaut ziemlich gut aus – neun Rennen vor Saisonende. Mit beeindruckender Konstanz, aber auch mit mehr zweiten (neun) als ersten Plätzen (vier), hat Hirscher es bisher auf 1.275 Punkte gebracht. Kürzlich hat er zugegeben, dass er im ersten Durchgang nicht immer am Limit fahre. "Der unbedingte Wille, Punkte zu machen, ist schon sehr, sehr groß."

Erfolge und Gegner

In St. Moritz geht es nicht um Punkte, nur um Medaillen. "Ich muss diesmal auch im ersten Lauf alles rauslassen. Mein Plan ist, möglichst wenig Rückstand aufzureißen." Am Freitag steigt der Riesentorlauf. Eine der beiden Spezialdisziplinen des 27-Jährigen aus Annaberg. Und jene, in der ihm WM-Gold noch fehlt. Sein größter Gegner: Alexis Pinturault. Der Franzose war in diesem Winter oft besser als Hirscher.

Am Sonntag steigt der Slalom – Hirschers zweite Spezialdisziplin. Slalomweltmeister war er schon – 2013 in Schladming. In St. Moritz sei der Ausgang des Slaloms, sagt Hirscher, "abartig offen". Aufgrund der Topografie des Hanges sei sehr viel möglich. Pircher sagt: "Der Hang ist nicht WM-würdig." Der Norweger Henrik Kristoffersen war in diesem Winter Hirschers großer Slalomgegner. Oft ein unbezwingbarer.

"Natürlich wäre es mir lieber, wenn er die Rennen gewonnen hätte", sagt Pircher. "Aber die Konkurrenz pusht uns, sie bringt uns weiter." Bei Seriensiegen bestünde die Gefahr, sich in eine Komfortzone zu begeben. "Das wollen wir nicht", sagt der Steirer. "Stillstand ist der erste Rückschritt. Wenn es Konkurrenten gibt, die uns ärgern, dann müssen wir noch mehr Gas geben."

Akribie und das Team

Jahr für Jahr versucht man, noch akribischer zu arbeiten. Aber was will man noch verbessern? Ist die Grenze der Professionalität nicht irgendwann und irgendwo erreicht? "Es gibt immer noch Verbesserungsmöglichkeiten", sagt Pircher. Es geht nicht nur um Training und Material. Die Rahmenbedingungen müssten stimmen. "Es passt vieles, aber es gibt immer wieder Dinge, die nicht passen. Die versuchen wir, schnellstmöglich zu verbessern." Pircher spricht die Ernährung an. "Marcel würde zum Beispiel nie eine Pizza essen." Und den Schlaf. "Wenn er auf einer Matratze nicht gut schlafen kann, weil er die Federn hört, dann tauscht man sie." In St. Moritz hat Hirscher eine eigene Matratze dabei.

"Marcel ist in allen Facetten einen Tick professioneller", sagt Pircher. Aber Hirscher ist nicht allein, er hat ein Team im ÖSV-Team. Dazu gehören neben Coach Pircher ein Konditionstrainer, ein Physiotherapeut, zwei Serviceleute, ein Pressebetreuer und nicht zuletzt der Vater.

"Sein Vater", sagt Pircher, "war und ist seine Konstante." Ferdinand Hirscher förderte seinen Sohn von Anfang an. "Er hat ihm immer auf die Finger geschaut. Solange Marcel motiviert war und den Weg gehen wollte, hat ihn der Papa unterstützt." Der Sohn machte große Sprünge. Dreimal war er Juniorenweltmeister. 2007, als 18-Jähriger, debütierte er im Weltcup. Auch da war sein Talent schnell ersichtlich. Und nach einigen Jahren ergab sich der Wunsch nach einem eigenen Team. Pircher, der damals schon ÖSV-Technikcoach war, war Hirschers Wunschtrainer. Seit 2013 ist der 41-jährige Hirschers Individualtrainer. Die Chemie zwischen den beiden stimmt. "Wir mögen uns, wir können über Gott und die Welt reden."

Kritik, hie und da

In der Trainer-Athleten-Beziehung brauche es nicht mehr allzu viele Worte. "Man muss sich oft nur anschauen, um zu wissen, was der andere denkt." Aber braucht Hirscher überhaupt noch einen Trainer? "Natürlich", sagt Pircher, "Leute, die ihm zu Füßen liegen, gibt es genug." Es brauche auch jemanden, der ihm eine andere Meinung sagt. "Wenn man ihn kritisiert, ärgert ihn das kurz, aber dann zeigt er es beim nächsten Lauf erst recht."

In St. Moritz wurde Hirscher schon Vizeweltmeister in der Kombination. Gold verpasste er um eine Hundertstelsekunde. "Die Silbermedaille", sagt Hirscher, "ist fast wie ein Geschenk." Der Worst Case – keine Medaille zu machen – sei vermieden worden. "Ich freue mich auf meine Disziplinen." Pircher sagt: "Wenn wir ohne Gold heimfahren, dann fahren wir eben ohne Gold heim. Er muss niemandem mehr etwas beweisen."

Und sollte es für den Skistar tatsächlich eine Niederlage setzen? "Dann versuchen wir, den Grund herauszufinden und es nächstes Mal besser zu machen. Niederlagen fordern uns noch mehr, das lässt uns keine Ruhe." Akribie, so steht es im Duden, bedeutet "höchste Genauigkeit, Sorgfalt in Bezug auf die Ausführung von etwas". (Birgit Riezinger aus St. Moritz, 16.2.2017)