Wien – Der Expertenstreit um die Todesursache von Rachat Alijew geht weiter. Der deutsche Rechtsmediziner Bernd Brinkmann, der von einer Ermordung des früheren kasachischen Botschafters in Österreich ausgeht, hält das gegenteilige Ergebnis des "Ergänzungsgutachtens" seiner Schweizer Kollegen für die Staatsanwaltschaft Wien für "sehr enttäuschend". Brinkmann, der für die Witwe Alijews ein Privatgutachten erstellt hatte, geht in einer "Kurzstellungnahme" auf die Ausführungen der St. Galler Mediziner ein und will darin "weitere Widersprüche" gefunden haben. Das hat er am 17. Februar den Wiener Anwälten der Witwe mitgeteilt.

Wie berichtet blieben die Schweizer bei ihrem ersten Befund (Suizid durch Erhängen), die Staatsanwaltschaft hat daraufhin entschieden, ihre Ermittlungen nicht wiederaufzunehmen. Brinkmann hatte dagegen Anzeichen für "Burking" (jemand wird getötet, indem ihm durch Gewalteinwirkung die Luft abgeschnitten wird; danach wird ein Selbstmord vorgetäuscht – der medizinische Nachweis ist schwierig) gefunden. Die Schweizer hätten zwar in ihrem Ergänzungsgutachten bestimmte Syndrome in Entsprechung zum Burking "als solche" bestätigt, diesen "zentralen Befund" aber nicht wiederaufgenommen, was den deutschen Mediziner "sehr verwundert". Er ortet "einseitige" Schlussfolgerungen – und empfiehlt die Einholung eines "Obergutachtens" durch einen "in der Materie wissenschaftlichen und fachlich ausgewiesenen Rechtsmediziner".

Alijew war vor fast genau zwei Jahren tot in seiner Zelle in der Justizanstalt Wien-Josefstadt gefunden worden; kurz vor Beginn der Hauptverhandlung, in der es um den (von ihm zurückgewiesenen) Vorwurf ging, er habe an der Ermordung zweier Banker in Kasachstan mitgewirkt. Die Mitangeklagten wurden vom Mordvorwurf freigesprochen.

Weihwasser versprüht

Den Verantwortlichen unterliefen nach Auffinden der Leiche etliche Fehler. So wurde die Auffindungsposition verändert und nicht fotografiert, der Anstaltspfarrer versprühte Weihwasser und drückte Alijew einen Rosenkranz in die Hände, hohe Justizbeamte wurden erst von den Anwälten über den Tod Alijews informiert. Die Wiener Mediziner, die Alijew obduzierten, fanden und erwähnten einen Brustbeinbruch nicht und untersuchten nicht alle Körperpartien, wie die Schweizer Rechtsmediziner in ihrem ersten Gutachten bedauerten.

Die St. Galler waren von der Staatsanwaltschaft sozusagen aus Objektivitätsgründen zu Rate gezogen worden. Sie kamen in ihrem ersten Gutachten zur Ansicht, dass der von ihnen diagnostizierte Bruch des Brustbeins "postmortal" entstanden sei – diese Ansicht haben sie anlässlich des Ergänzungsgutachtens noch einmal bestätigt. (Renate Graber, 20.2.2017)