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Die Wirtschaftskammer sieht die Zeit für mehr Flexibilität gekommen, die Arbeiterkammer schreit auf.

Foto: REUTERS/Toby Melville

Hunderttausende Menschen in Österreich arbeiten im Schichtbetrieb. Damit Firmen ihre Kunden rechtzeitig beliefern können, bleibt oft auch in der Nacht das Licht an. Wenn der Chef will, kann er die Mitarbeiter dafür auch zwölf Stunden am Tag, 60 Stunden die Woche arbeiten lassen, sagt der Arbeitsrechtler Martin Risak. Im Schichtbetrieb gilt die maximale Arbeitszeit von 50 Stunden nämlich nicht.

Wenn es nach der Wirtschaftskammer geht, dann soll das bald für alle Arbeitnehmer in Österreich gelten. Sie will, dass Firmen auf größere Aufträge mit längeren Arbeitszeiten reagieren können. Wenn weniger los ist, sollen die Stunden wieder abgebaut werden. Die Grenze für die tägliche Arbeitszeit soll auf zwölf Stunden und damit in der Woche auf 60 Stunden steigen. Bis Juni müssen sich die Arbeitgeber mit der Arbeiterkammer auf eine Lösung für flexiblere Arbeitszeiten einigen.

Abbildung der Realität

So hat es ihnen die Regierung aufgetragen und gleichzeitig die Rute ins Fenster gestellt: Schaffen es die Sozialpartner nicht, werden SPÖ und ÖVP eine Einigung über ihre Köpfe hinweg erzielen. Denn hitzig diskutiert wird das Thema schon einige Jahre. Aber warum ist die Aufregung dabei so groß?

Im Grunde sind die meisten Beteiligten dafür, mehr Flexibilität zu schaffen. Die Industriellenvereinigung sagt, es gehe im Prinzip nur darum, "betriebliche Realitäten endlich auch rechtlich abzubilden". Schon jetzt werde oft länger als zehn Stunden am Tag gearbeitet, auch wenn das offiziell nicht erlaubt sei.

Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien hält das für sinnvoll. Immer öfter stelle sich in der Wirtschaftswelt bei Aufträgen die Frage: "Mache ich es jetzt oder gar nicht?" Auch Kanzler Christian Kern (SPÖ) sagte bei seiner Grundsatzrede in Wels: "Wir werden nicht umhinkommen, flexibler zu arbeiten."

Zuschläge auf dem Spiel

Auch die Arbeiterkammer zeigt sich im Prinzip gesprächsbereit. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Denn die Wirtschaftskammer will nicht nur bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten lassen, sondern auch die "Normalarbeitszeit" auf zehn Stunden erhöhen. Das heißt nicht, dass dann alle zehn Stunden am Tag arbeiten müssen.

Es hieße, dass erst ab der elften Stunde Überstunden zu zahlen sind, was in dieser Form einer Kürzung der Löhne gleichkommen würde. Im Schnitt verdient eine Vollzeitkraft brutto 15 Euro pro Stunde. "Sie würde also 7,50 Euro an Überstundenzuschlag verlieren", sagt Adi Buxbaum von der Arbeiterkammer dem STANDARD. In Summe könnte das die Arbeitnehmer im Jahr 1,5 Milliarden Euro kosten.

Mindestlohn als Belastung

IHS-Ökonom Hofer hält das für einen "ersten Vorschlag", von dem die Wirtschaft in den Verhandlungen wohl abgehen werde. In der Wirtschaftskammer will man sich zu einer potenziellen Kürzung der Zuschläge nicht äußern. "Wir sind mitten in Verhandlungen, die sich schwierig gestalten", sagt Rolf Gleißner, Referent für Sozialpolitik. Der Mindestlohn, den die Sozialpartner parallel verhandeln, führe aber zu massiven Mehrkosten. "Wir erwarten uns Entlastungen in puncto Arbeitszeit."

Für einen Teil dieser Entlastung könnte der Wunsch der Wirtschaft sorgen, dass Mehrarbeit über zwei Jahre durch weniger Arbeit ausgeglichen werden können soll. Derzeit sehen die meisten Kollektivverträge vor, dass nach sechs oder zwölf Monaten abgerechnet wird, sagt Risak von der Uni Wien.

Ein Beispiel: Wer eine Woche fünf Stunden zu viel arbeitet, bekommt die Überstunden oft erst dann ausbezahlt, wenn er sie nach einem halben Jahr nicht als Zeitausgleich konsumiert hat. "Je länger man dabei durchrechnet, desto eher spart sich das Unternehmen die Überstundenzuschläge", sagt Risak. (Andreas Sator, 21.2.2017)