Jobnot und Sozialdumping machten Grenzen für EU-Bürger am Arbeitsmarkt nötig, sagt Sozialminister Stöger: "Eine Regierung ist nicht verpflichtet, Angebote an Menschen in anderen Ländern zu machen."

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Die Regierung sei nicht verpflichtet, "Angebote an Menschen in anderen Ländern zu machen", argumentiert Sozialminister Alois Stöger im STANDARD-Gespräch: Ohne Regulierung des Arbeitsmarktes drohe ein Vormarsch der Rechten.

STANDARD: Die Regierung hat einen Beschäftigungsbonus kreiert, der EU-Ausländer gezielt benachteiligt. Kündigen SPÖ und ÖVP gerade die europäische Idee auf?

Stöger: Ganz im Gegenteil. Der Arbeitsmarkt ist entscheidend dafür, ob die Menschen Vertrauen in die EU haben. Wir brauchen eine Union der Arbeit und keine Union der Arbeitslosigkeit. Deswegen muss die Regierung dafür sorgen, dass jene Menschen, die Teil unserer Gesellschaft sind, eine Chance auf Jobs haben. In Österreich ist zwar die Beschäftigung gewachsen, aber auch die Arbeitslosigkeit – das ist auch eine Folge der starken Zuwanderung aus EU-Staaten im Osten.

STANDARD: Untergraben Sie damit aber nicht eines der Grundprinzipien der EU, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer?

Stöger: Nein. Nach wie vor kann sich jeder EU-Bürger bei jedem Arbeitgeber in Österreich bewerben. Gefördert werden mit dem Beschäftigungsbonus, einer befristeten Lohnnebenkostensenkung, aber nur Unternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen und dafür Arbeitskräfte einstellen, die bereits hier leben – egal welcher Nationalität. Eine Bundesregierung ist nicht verpflichtet, Angebote an Menschen in anderen Ländern zu machen. Das heißt aber nicht, dass nicht neue Leute aus der EU auf den Arbeitsmarkt kommen können.

STANDARD: Die Regierung will doch noch weitergehen und die Arbeitsplatzprüfung wieder einführen, wonach ein EU-Bürger nur dann einen Job bekommt, wenn dafür kein heimischer Arbeitsloser gefunden wird. Möchten Sie das Rad in die Zeit vor der EU-Osterweiterung zurückdrehen?

Stöger: Wir stehen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, müssen aber Bedingungen definieren, unter denen diese möglich ist. Dabei gilt es nicht nur, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sondern auch Lohn- und Sozialdumping. Österreich zählt zu jenen Staaten, wo das Lohngefälle am höchsten ist, das betrifft vor allem die Regionen an unseren Außengrenzen. Wir müssen deshalb den Arbeitsmarkt steuern – ohne die Freizügigkeit aufzugeben.

STANDARD: Letzteres würde die Regierung mit der Arbeitsplatzprüfung doch de facto tun.

Stöger: Es könnte eine zeitlich befristete Einschränkung für manche Branchen geben.

STANDARD: Auf der anderen Seite profitiert Österreich, wie Regierungspolitiker ständig betonen, vom Binnenmarkt, angefangen bei der starken Exportwirtschaft. Was, wenn sich osteuropäische Staaten revanchieren, indem sie Schranken für österreichische Unternehmen setzen, um die "eigenen" Betriebe zu schützen? Geht der Schuss dann nicht nach hinten los?

Stöger: Gegenfrage: Österreich ist in der EU Nettozahler. Doch während wir für den finanziellen Ausgleich einzahlen, senkt das Nachbarland Ungarn die Körperschaftssteuer auf acht Prozent. Sollen wir da tatenlos zuschauen?

STANDARD: Ich kann psychologisch verstehen, dass man sich da revanchieren will. Aber wenn alle Länder in diese Logik einsteigen und sich gegenseitig bestimmte Rechte aufkündigen, wird von der EU bald nichts mehr übrig bleiben.

Stöger: Ich persönlich kann mit Grenzen überhaupt nichts anfangen, schließlich bin ich 20, 30 Kilometer entfernt von einer aufgewachsen, die ich als Jugendlicher nicht überschreiten durfte. Doch die größte Gefahr für Europa besteht dann, wenn die Rechten Regierungsfunktionen übernehmen – und genau das wird passieren, wenn immer mehr Menschen Sorge um ihren Arbeitsplatz haben. Wir brauchen deshalb Regeln mit Augenmaß, um für wirtschaftlichen Ausgleich in der EU zu sorgen. Es kann ja auch nicht Sinn der Sache sein, dass die Bevölkerung osteuropäischer Länder ausgedünnt wird, weil so viele in den Westen gehen. Das Lebensniveau in diesen Staaten muss verbessert werden, da hat die EU viel Luft nach oben.

STANDARD: Wenn Ihnen das ein Anliegen ist: Warum will die Regierung in Österreich arbeitenden EU-Bürgern dann die Familienbeihilfe kürzen, wenn deren Kinder in Staaten mit niedrigerem Lebensstandard leben?

Stöger: Das müssen Sie Familienministerin Sophie Karmasin und Außenminister Sebastian Kurz, fragen, die diesen Plan forcieren.

STANDARD: Die rote Regierungshälfte hat der Idee im neuen Arbeitsprogramm doch prinzipiell zugestimmt – mit Ihrer Unterschrift.

Stöger: Ich nähere mich der Frage pragmatisch an: Wie hoch sind die Kosten, wie groß ist der Nutzen? Beurteilen werde ich das erst dann, wenn ich die Pläne und Argumente analysiert habe. Ein Minister hat seine eigenen Aufgabenbereiche sauber zu handhaben, und davon gehe ich auch bei meinen Ressortkollegen aus.

STANDARD: Ein Gegenargument sollte Ihnen als Sozialminister besonders zu denken geben: Viele ältere Österreicher sind auf schlecht bezahlte Pflegerinnen aus der Slowakei oder Rumänien angewiesen – müssen diese nun finanzielle Einbußen hinnehmen, könnte sich die Arbeit für viele nicht mehr lohnen.

Stöger: Das wird bei der Beurteilung sicher eine Rolle spielen.

STANDARD: Weil sich die EU-Kommission und andere Staaten querlegen, will die ÖVP den Plan im Alleingang mit einem nationalen Gesetz durchboxen und es auf eine Klage beim Europäischen Gerichtshof ankommen lassen. Und Sie?

Stöger: Die Regierung hat klar festgeschrieben, dass sie eine gemeinsame europäische Regelung anstrebt. Dazu stehe ich. (Gerald John, 23.2.2017)