Mit 3.718 Metern ist der Pico del Teide der höchste Berg Spaniens. Auf dem Weg nach oben durchschreitet man fünf Vegetationszonen und landet manchmal im Eis.

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Die Basilica de Candelaria auf Teneriffa

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Üppige Vegetaion in den Anaga Bergen auf Teneriffa

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Der Pico del Teide vor einer Mondlandschaft

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Ein Eisentor versperrt den Weg zum Gipfel. Wir hoffen, dass es aufgeht, um die letzten Meter zum Pico de Teide hinaufsteigen zu können. Der Vulkan auf der Kanareninsel Teneriffa ist mit 3.718 Metern der höchste Berg Spaniens. Man darf ihn nur mit Genehmigung besteigen, das Zeitfenster dafür beträgt zwei Stunden. Wir haben alles richtig gemacht, stehen nach mehrtägiger Inseldurchquerung und schweißtreibender Bergtour pünktlich am Tor. Aber nun gibt es Schwierigkeiten. Unsere Expedition droht kurz vor dem Ziel zu scheitern.

Vor vier Tagen sind wir auf Meereshöhe gestartet und folgen einer sehr speziellen Route auf den Teide: Wir beschreiten den Weg, den der deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt vor mehr als 200 Jahren genommen hat, um den Gipfel zu vermessen, das Blau des Himmels mit dem Spektrometer zu bestimmen und die Pflanzen zu kategorisieren. Mit dieser Tour hat Humboldt die Geobotanik begründet. Am Teide legte er erstmals Vegetationsstufen fest, an denen sich die Wissenschaft fortan orientierte.

Mit Persilschein des spanischen Königs

Humboldt berichtet in seinem Reisewerk ausführlich über den Teneriffa-Trip und überrascht mit Details, die man heute noch beobachten kann. Als der Forschungsreisende am 19. Juni 1799 mit der "Pizzaro" vor Santa Cruz ankerte, zeigte sich die Insel zunächst nur schemenhaft: "Das Land trat nur undeutlich hervor. Ein dicker Nebel verwischte alle Umrisse." Schleunigst machte er sich auf nach La Laguna, der damaligen Hauptstadt.

Humboldt spricht ob des kühleren Klimas von einem "köstlichen Aufenthaltsorte" und entdeckte auf den Häusern "sempervivum canariense", den kanarischen Hauswurz, der immer noch überall auf den Dächern wuchert. Allerdings sind die meisten Windmühlen verschwunden, und statt 400 Mönchen leben heute vier Nonnen dort. "Manche Reisende behaupten, die Hälfte der Bevölkerung bestehe aus Kuttenträgern." Humboldt übernachtete bei wohlhabenden Familien, ein Persilschein des spanischen Königs öffnete ihm überall Tür und Tor.

Übergangsklima

Humboldt benutzte ihn auch dafür, um nach La Orotava zu gelangen. Das ist der Hauptort des fruchtbaren grünen Tales im Norden Teneriffas, der Ausgangspunkt für seine Besteigung sein soll. Zunächst inspizierte er den Botanischen Garten, der damals eine Durchgangsstation für exotische Pflanzen war, bevor sie in das rauere Klima des europäischen Festlandes gebracht wurden. Heute ist die einzige Attraktion ein Riesen-Ficus mit gewaltigen Luftwurzeln. Im Gegensatz zu Humboldt ziehen wir zügig weiter.

Das Tal ist aus einem Erdsturz hervorgegangen, links und rechts wird es von mächtigen Felswänden bestanden. Der offizielle "Humboldt-Aussichtspunkt" gibt den Blick frei auf Bananenplantagen und Erdäpfeläcker, die bis zu dreimal im Jahr abgeerntet werden. Wer hier steht, kann nicht glauben, dass er sich auf einer kargen Vulkaninsel befindet. Des Forschers Aufzeichnungen über das Orotavatal zählen zu den umfangreichsten der Teneriffa-Reise, und so können wir immer wieder den Blickwinkel Humboldts einnehmen, Besonderheiten der facettenreichen Landschaft erkennen.

Salzige Erdäpfel mit Kaninchen

Nach Humboldt'scher Definition befinden wir uns nicht mehr in der ersten Vegetationsstufe, die er "Zone der Reben" betitelte, sondern in der Lorbeer-Region, der zweiten Zone. Sie ist schnell durchschritten, und man taucht ein in die "Stufe der Fichten". Da ist dem Forscher ein Fehler unterlaufen, denn man findet hier ausschließlich die robuste kanarische Kiefer. Selbst nach einem Feuer wachsen aus den verkohlten Gerippen wieder neue Triebe.

In ihrer Widerstandskraft ähneln die Einwohner Teneriffas ihrem Nationalbaum, wie wir bei einer Pause in der Wanderhütte La Caldera lernen. Elena Carballos serviert "papas arugadas" (salzige Erdäpfel) zu geschmortem Kaninchen und wettert gegen die Beamten in Orotava, die ihre Hütte abreißen wollen, um einen Hochseilgarten mit Busparkplatz zu erschaffen. "Meine Familie ist seit 40 Jahren hier. Wir lassen uns nicht vertreiben." 300.000 Euro müsste Elena für einen Umbau lockermachen. "Wie soll das gehen bei unseren Preisen?" Für wenige Euro wird bei ihr jeder noch so ausgehungerte Wanderer satt.

Öde Stufen vier und fünf

Am Kraterrand verabschieden wir uns von den letzten Kiefern. Humboldt siedelt hier die Stufen vier und fünf an, die er zusammenfasst als "öden Landstrich, wo Haufen von Bimsstein, Obsidian und zertrümmerter Lava wenig Pflanzenwuchs aufkommen lassen". Nachdem wir die ganze Zeit im Nebel aufgestiegen sind, sehen wir endlich den Teide. Seine kegelförmige Spitze wächst 1.700 Meter hoch aus der Caldera Las Cañadas, einem Vulkankessel mit 17 Kilometern Durchmesser rund 2.000 Meter überm Meer. Wer die Wolkendecke durchbrochen hat, die sich am Kesselrand staut, trifft auf eine surreale Mondlandschaft.

Der Stein, der schaumig-leicht in den Händen liegt und der Montaña Blanca, dem "Weißen Berg", den Namen gab, missfiel Humboldt: "Wir litten sehr vom erstickenden Bimssteinstaub." Hier hat auch für ihn der beschwerliche Aufstieg begonnen, der durch das struppige Barranco El Dornajito zum Refugio de Altavista führt. In dieser Hütte auf 3.260 Metern weist Artemio Lorenzo Wanderern gerne Zimmer zu. Manch einer sei aber zu geizig, um die paar Euro für ein warmes Bett auszugeben, und schlafe lieber im Freien, meint Artemio. Er schüttelt sich, wenn er an seine kälteste Nacht denkt, in der das Thermometer auf minus 18 Grad fiel.

Wir haben keine Übernachtung eingeplant und mühen uns kurz danach durch Schnee und Eis. Ohne Steigeisen ist der Aufstieg eine einzige Rutschpartie – doch der Weg ist nicht mehr weit. Auch Humboldt legte an der Rambleta eine längere Pause ein – allerdings nicht, weil er, wie wir, vor einem versperrten Eisentor stand. Da der Gipfelanstieg komplett vereist ist, haben die Beamten am Teide an diesem Tag beschlossen, den Weg für alle zu sperren. Wo Humboldt damals haltmachte, um das Plateau unter dem Zuckerhut-Gipfel zu vermessen, spuckt heute eine Seilbahn Touristen aus: in Flip-Flops und Shorts. (Christian Schreiber, 27.2.2017)