Elena Ferrante, "Die Geschichte eines neuen Namens", Suhrkamp 2017, 624 S.

Foto: Suhrkamp

Wien – Neapel, Ende der 1950er-Jahre: Die 16-jährige Lila Cerullo wurde, was ihr selbst erst beim Hochzeitsfest klar wird, zu Geschäftszwecken in die Ehe mit Stefano Carracci bugsiert. Mit dem sozialen Aufstieg in die Familie der Wurstfabrikanten hat Lila unwissentlich einen Deal besiegelt, der ihr und den Ihren im Viertel der Camorra-Familie Solara ein friedliches und finanziell sorgenfreies Leben gewährleistet. Der Ehering aber – so steht es bereits auf Seite 44 von 624 geschrieben, ist eine "funkelnde Null".

Verschiedene Lebensentwürfe

Die im englischen Sprachraum längst zum Weltbeststeller avancierte vierbändige Saga um eine lebenslange, nicht unbelastete Frauenfreundschaft – L'amica geniale (Meine geniale Freundin) von Elena Ferrante – hält am deutschen Verlagsmarkt derzeit bei Teil zwei: Die Geschichte eines neuen Namens. Teil drei und vier sollen bis Herbst erschienen sein. Suhrkamp hat es nun eilig, nachdem der Erfolg von 2011 versäumt wurde, kann aber jetzt risikofrei nachernten: Die blassrosa Buchcover türmen sich derzeit in den Buchläden.

Die Freundschaft zwischen Lila und Elena (von Elena rückblickend erzählt) ist der Dynamo dieser Literatur. Sie generiert vor allem in der Parallelführung der beiden Biografien und damit zweier gegensätzlicher Lebensentwürfe ihre Spannung und rollt dabei die geschlechtergeschichtlich repressiven Nachkriegsjahre aus weiblicher Sicht noch einmal neu auf.

Während Lila blutjung aus dem Schulunterricht ins Eheleben wechselt, lässt sich Elena nicht vom Bildungsweg abbringen. Sie macht das "Abitur", so die deutsche Übersetzung von Karin Krieger, und wird danach das Studium aufnehmen. Doch Elena wird erkennen, wie schwer es für sie als 19-jährige Frau aus der Arbeiterschicht sein wird, sich anno 1960 in einem Gespräch intellektuell zu behaupten, auch wenn sie ebenso belesen ist wie die jungen Männer in der Runde und sie auch etwas über Atomkrieg, Kolonialismus, Sartre oder die linke Christdemokratie zu sagen hätte. Auf solche Selbstpositionierungsversuche läuft Ferrantes erzählerischer Motor immer wieder zu.

Kampf gegen Machtmechanismen

Es gelingt der unter Pseudonym schreibenden italienischen Autorin (die im Vorjahr wider Willen als die Übersetzerin Anita Raja geoutet wurde), die subtilen und weniger subtilen Machtmechanismen, in denen junge Frauen zur Mitte des 20. Jahrhunderts eingesponnen waren, kenntlich zu machen, aber auch – und das ist die Freude daran – den ausgeklügelten Kampf dagegen aufleben zu lassen.

Mit welcher Vehemenz sich Lila gegen ihre junge Ehe wehrt, welchen Verrat sie dabei begeht und wie destruktiv ihre fatalen Schachzüge sein werden, das ist durchaus schockierend. Auf der Lambretta zum Maronti-Strand düsen – ein langer Sommer bringt viele Entscheidungen -, darin liegt bei Ferrante nichts Romantisches. Sondern es sind die als verklärt kenntlich werdende Zutaten einer tragikomischen Befreiungsliteratur aus dem Geiste von Herz-Schmerz und Teen-Spirit. (Margarete Affenzeller, 27.2.2017)