Wer vom Weißbuch der Kommission zur EU-Reform ein fertiges Konzept zum Um- und Weiterbau der Gemeinschaft erwartet hat, wird enttäuscht sein. Ein solches kann Jean-Claude Juncker nicht liefern. Vielmehr legte der Präsident der zentralen EU-Institution nur alle möglichen Optionen vor. Er schilderte, was uns bevorstehen könnte, wenn Großbritannien 2019 die EU verlässt.

Das ist der Lage angemessen. Die Brexit-Abstimmung liegt ganze acht Monate zurück, 28 Regierungschefs haben zur Zukunft der EU seither nichts vorangebracht. Londons Antrag, der die EU in ihren Grundfesten erschüttern und infrage stellen wird, fehlt auch noch.

In diese Wunde legte Juncker den Finger. Er spielt den Ball an die Regierungschefs weiter. Diese müssen endlich eine Grundsatzentscheidung treffen, wohin die Reise gehen soll. Alle Varianten – von loser Wirtschaftsgemeinschaft bis zur politischen Union – liegen auf dem Tisch.

Begrüßenswert ist, dass der Kommissionschef für seine Erklärungen das EU-Parlament als Ort wählte. Die Abgeordneten als Vertreter der Völker müssen in Zukunft bei jeder Reform der Union eine Schlüsselrolle spielen. Denn eines ist offensichtlich: Für die tiefe Krise – auch demokratiepolitisch – sind vor allem die Regierungen der Mitgliedsstaaten verantwortlich. Weil im Rat der Regierungschefs zu viele übersteigerte Egos sitzen, wegen deren Unentschlossenheit und Nationalismus, geht in Europa nichts weiter. (Thomas Mayer, 1.3.2017)