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Bei seiner ersten Rede vor dem US-Kongress schlug Präsident Donald Trump versöhnlichere Töne an. Der Republikaner Jim Kolbe hält das für einen "positiven Schritt nach vorn".

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Russlands Präsident Wladimir Putin verbirgt sich auf diesem Graffito in New York City hinter US-Präsident Donald Trump. Angesichts von Trumps Nähe zu Putin seien Länder wie die Ukraine und die baltischen Staaten "berechtigterweise sehr, sehr nervös", sagt Kolbe.

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STANDARD: Donald Trump hat vor kurzem seine erste Rede vor dem US-Kongress gehalten. Wie bewerten Sie seinen neuen Ton?

Kolbe: Der Ton war ganz anders als bei seiner Antrittsrede und bei anderen Gelegenheiten zuvor. Es war ein Ton des Händereichens, er hat eine Art Vision davon geschaffen, wo das Land sich hinentwickeln soll. Es war auf jeden Fall ein positiver Schritt nach vorn. Das Problem der Rede war, dass darin große Visionen dargelegt werden, aber keine Details, wie man diese umsetzen will.

STANDARD: Zum Beispiel, wie er seine ambitionierten Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung finanzieren will.

Kolbe: Es ist unklar, wie die Kosten kompensiert werden sollen. Das ist allerdings ein generelles Problem bei dieser Rede kurz nach der Wahl – es sind sehr breite Allgemeinheiten, bei denen man nicht weiß, wie sie finanziert werden sollen. Und das ist der heikle Teil für den Kongress.

STANDARD: Er hat versöhnlichere Töne gegenüber der Nato angeschlagen. Was sollten sich europäische Partner erwarten?

Kolbe: Es ist schwierig für unsere europäischen Partner zu wissen, was sie erwartet, weil wir in diesem Land nicht wissen, wie genau das Trump-Team arbeiten wird. Er umgibt sich mit Leuten, die sehr intelligent und talentiert sind, wie Verteidigungsminister James Mattis oder Sicherheitsberater H. R. McMaster. Zugleich sagt Trump Dinge, die dem sehr widersprüchlich entgegenstehen. Es ist nicht klar, wer genau sich durchsetzt. Es könnte aber auch ein sehr erfolgreicher Weg sein, Politik zu machen – verschiedene Standpunkte einzubringen und sie auszudiskutieren, bevor man sich entscheidet. Ex-Präsident Barack Obama hat sich nicht mit gegenteiligen Argumenten umgeben. Aber es könnte gesünder sein, die Debatte in dieser Form zu führen.

STANDARD: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass eine solche möglicherweise erfolgversprechende Strategie dahintersteckt und nicht einfach mangelnde Absprache innerhalb der Regierung?

Kolbe: Es ist zu früh, um das zu beurteilen, wir haben darauf noch keine Antworten.

STANDARD: Sollten sich die europäischen Partner Sorgen machen?

Kolbe: Ja, sie sollten beunruhigt sein. Vor allem unsere Freunde in Mitteleuropa, denn am verstörendsten an Trumps mit Europa in Verbindung stehender Politik ist seine unerklärliche Putin-Faszination. Russlands Präsident ist ein Verbrecher, ein Antidemokrat, er ist gefährlich und aggressiv. Dort, wo es um Putin geht, scheint Trump einen blinden Fleck zu haben. Länder wie die Ukraine und die baltischen Staaten werden berechtigterweise sehr, sehr nervös.

STANDARD: Was könnte passieren?

Kolbe: Putin wird diese sogenannte Freundschaft mit Trump austesten und schauen, was passiert, wenn er Schritte in Richtung der baltischen Staaten unternimmt oder Schritte, die die ukrainische Souveränität noch stärker verletzen als bereits zuvor. Das ist sehr beunruhigend. Ich hoffe, es wird nichts zur Aufhebung der Sanktionen gegen Russland unternommen. Wir sollten hinter unseren europäischen Verbündeten stehen und die Sanktionen aufrechterhalten, sie wenn möglich noch verschärfen.

STANDARD: Sie haben die "Dump Trump"-Bewegung im August vergangenen Jahres unterstützt und gefordert, dass die Republikanische Partei Donald Trump nicht mehr fördert. Wie überrascht waren Sie von Trumps Sieg?

Kolbe: Ziemlich überrascht, so wie die meisten Amerikaner. Er hat etwas aufgegriffen, das der Rest von uns nicht erkannt hat. Er tut es immer noch und ist sehr erfolgreich darin, jene Amerikaner zu erreichen, die unzufrieden mit der Regierung und ihren Chancen sind, erfolgreich zu sein.

STANDARD: Was bedeutet Trumps Sieg für die Republikaner? Handelt es sich immer noch um dieselbe Partei wie vor einem halben Jahr?

Kolbe: Nein, es kann nicht mehr dieselbe Partei sein wie vergangenes Jahr. Die Republikanische Partei ist derzeit so dominant – durch den Erfolg bei der Präsidenten- und Gouverneurswahl und im Kongress –, dass sie den ideologischen und philosophischen Differenzen innerhalb der Partei erst einmal aus dem Weg gehen kann, mit denen sich die Demokraten jetzt auseinandersetzen müssen. Wenn Hillary Clinton gewonnen hätte, müssten wir diesen Prozess durchlaufen. Aber früher oder später müssen wir uns damit auseinandersetzen und herausfinden, welche Art von Partei wir sein wollen. Wollen wir eine inklusive Partei sein oder nur eine begrenzte Menge an Menschen erreichen? Ich glaube, wir sollten eine viel inklusivere Partei sein.

STANDARD: Welche Variante halten Sie für wahrscheinlicher?

Kolbe: Das ist schwer vorauszusagen. Vieles hängt davon ab, wie Trump das Präsidentenamt führt. Wenn er so weitermacht wie bei seiner Rede vor dem Kongress und moderate Ansätze aus seinem Kabinett einbringt, dann hat er die Chance, sehr gut zu regieren und vielleicht sogar wiedergewählt zu werden. Anders wäre es allerdings, wenn er das Land spaltet – es ist keine Frage, dass die USA so gespalten sind wie seit langem nicht mehr.

STANDARD: Ist Donald Trump verantwortlich für diese Spaltung im Land?

Kolbe: Zum Teil mit Sicherheit, aber nicht ausschließlich. Er hat sie sich zunutze gemacht, hat sie beschleunigt, verstärkt, aber er ist sicher nicht alleine dafür verantwortlich. Diese Spaltung hat mit der Wirtschaft zu tun, mit der Einkommensungleichheit verschiedener Gruppen in den USA.

STANDARD: Verstehen Sie die Sorge um die Demokratie in den USA mit Trump an der Macht?

Kolbe: Ja. Auch ich bin beunruhigt. Ich glaube, dass die Institutionen in diesem Land stark sind und wir das durchstehen, aber es wird ein wirklicher Test für die demokratischen Institutionen, vor allem im Zusammenhang mit Presse- und Meinungsfreiheit.

STANDARD: Was beunruhigt Sie am meisten?

Kolbe: Die Tatsache, dass die Menschen so polarisiert sind. Man sieht es bei den Townhall Meetings – die Leute kommen nicht zum Zuhören, sondern zum Schreien, um ihre Ansichten durchzusetzen. Sie wollen keine wirkliche Diskussion über die Themen führen – und es gibt dringende Themen wie den Ersatz von Obamacare oder die Einwanderung. Wir haben ernste Probleme, und wir müssen ernste Diskussionen darüber führen.

STANDARD: Ist es nicht verständlich, wenn die Menschen sich dort Antworten erwarten, die sie – beispielsweise bei Obamacare – derzeit von den Republikanern nicht bekommen?

Kolbe: Nein, niemand hat derzeit Antworten, wie Obamacare ersetzt werden soll, das wird Zeit brauchen. Man muss sich dem Thema gewissenhaft widmen.

STANDARD: Gab es die Zeit, sich einen Ersatzplan zu überlegen, nicht, während Barack Obama noch im Amt war?

Kolbe: Ja, natürlich. Aber die Verantwortung liegt für mich bei Obama, der sich 2009 dazu entschlossen hat, die Reform ohne eine einzige republikanische Stimme durchzusetzen. Sie war also von Beginn an dazu verurteilt, umstritten und politisch spaltend zu sein. Jetzt müssen wir dafür sorgen, ein paar Demokraten an Bord zu holen. Wir müssen anders an die Sache herangehen.

STANDARD: Wie könnte der Ersatz aussehen?

Kolbe: Derzeit wissen wir es nicht, es stehen viele Vorschläge im Raum. Viele Dinge werden derzeit diskutiert, aber wir wissen noch nicht, wie das Ergebnis genau aussehen wird.

STANDARD: Wann könnte es konkretere Pläne geben?

Kolbe: Ich glaube nicht, dass wir etwas Definitives zu Obamacare vor dem Spätherbst sehen werden. Es könnte auch bis zum nächsten Jahr dauern, in einem Wahljahr wird es aber natürlich komplizierter.

STANDARD: Was passiert im besten Fall unter einem US-Präsidenten Trump?

Kolbe: Im besten Fall öffnet er sich anderen Standpunkten und Meinungen, spricht mit allen Amerikanern, hört auf, über Twitter zu regieren, und konzentriert sich auf die wirklichen Probleme. Er würde lernen zu regieren – ich glaube, er hat das Potenzial dafür. Ob er es tut oder nicht, weiß ich nicht.

STANDARD: Was passiert im schlimmsten Fall?

Kolbe: Dann führt er die Spaltung fort, sie vergrößert sich, und die USA werden so entzweit, wie sie es nie waren. (Noura Maan, 4.3.2017)