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Dass Maria Theresia für alle drei Faktoren – Gatte, Status und Kinder – vollumfänglich aufkommen musste, macht sie zu einer Frau der Moderne.

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Élisabeth Badinter: "Mit der Mutterrolle stellte sie ihren sicheren politischen Instinkt unter Beweis – und schuf letztlich eine Form des Matriarchats. Da kann man nur sagen: Hut ab!"

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Wenn Maria Theresia allgemein an die Situation der heutigen Frauen erinnert, dann eben weil sie als Herrscherin rund um die Uhr zwischen ihren drei Rollen pendeln musste ...

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Élisabeth Badinter
Maria Theresia. Die Macht der Frau

Zsolnay-Verlag, Wien 2017
24,70 Euro, 300 Seiten

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Élisabeth Badinter (72) ist eine französische Philosophin. Die heute bekannteste Feministin ihres Landes engagiert sich unter anderem in Fragen des Laizismus und der Immigration. Die Gattin des ehemaligen Justizministers Robert Badinter, der unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand die Todesstrafe in Frankreich abschaffte, leitet auch den Aufsichtsrat des von ihrem Vater gegründeten Werbekonzerns Publicis. Das Gespräch mit ihr über die Habsburgerin fand im Februar in Paris statt. Badinters Buch "Maria Theresia – Die Macht der Frau" erscheint am 13. März im österreichischen Zsolnay-Verlag.

STANDARD: Maria Theresia war eine konservative Herrscherin in einem konservativen Umfeld. Was hat Sie als Feministin an ihrem Schicksal angezogen?

Badinter: Maria Theresia war völlig einzigartig für Ihre Zeit. Sie war sicher sehr konservativ eingestellt, autoritär, gar bigott und insofern nicht sehr modern. Aber sie war auch mit einer Situation konfrontiert, die mich sehr an die Lage der Frauen im 21. Jahrhundert erinnert.

STANDARD: Warum das?

Badinter: Maria Theresia hatte wie viele unserer Zeitgenossinnen gleichzeitig drei Rollen: die als Frau, als Mutter und als Berufstätige. Sie war natürlich sehr weit vom heutigen Leben entfernt, herrschte sie doch über ein immenses Reich. Aber sie leitete dessen Geschicke vierzig Jahre lang, was heute eine normale Berufsspanne ist; sie kümmerte sich um einen Gatten, den sie wahnsinnig liebte und der ihr auch viel Sorgen bereitete – und dazu hatte sie viele Kinder. Es genügt, das auf die heutige Zeit zu übertragen. Nicht zu vergessen: Der Kaiservater ihr ein Reich in Ruinen hinterlassen, ohne Geldmittel, mit einer Armee in desolatem Zustand und einer wirkungslosen, ja korrupten Verwaltung.

STANDARD: Was war denn Maria Theresias Leistung?

Badinter: Sie führte dieses Riesenreich in die Modernität. Sie erneuerte das spanische Hofzeremoniell, indem sie eine menschliche Nähe zu den Bürgern und Soldaten einführte. Und sie schaffte es, die Gunst des Volkes zu erlangen, indem sie sich als gute Mutter der Nation präsentierte. Mit einem Wort, Maria Theresia vereinigte die drei femininen Attribute einer heutigen Frau, Mutter und Berufstätigen. Damit war sie in ihrer Zeit die Einzige; weder Katharina die Große in Russland noch Elisabeth I. in England haben dieses dreifache Nebeneinander geschafft. Maria Theresia ist deshalb ein wichtiger Bezugspunkt für die Geschichte der Frauen.

STANDARD: Doch hing sie als Koregentin, die nie formell Kaiserin war, nicht auch stark von männlicher Macht und Männern wie ihrem Gatten oder später ihrem Sohn Joseph II. ab?

Badinter: Überhaupt nicht. Sie wollte gar nicht zur "Kaisergattin" gekrönt werden, da sie das für erniedrigend hielt. Ihre wahre Macht beruhte darauf, dass sie Königin von Böhmen und Ungarn war. Sie teilte die Macht nicht; vielmehr entfernte sie ihren Mann auf sanfte Weise von der Macht, und ihrem Sohn überließ sie davon nur einen kleinen Zipfel – was übrigens für starke Konflikte zwischen den beiden sorgte. Maria Theresia übte die Macht allein aus, und zwar bis zu ihrem letzten Atemzug.

STANDARD: Emotionell war sie aber umso abhängiger von Mann und Sohn.

Badinter: Das auf jeden Fall. Sie war sich dessen aber durchaus bewusst. Maria Theresia war luzid, auch in Momenten, wenn sie – wie etwa im Erbfolgekrieg – Entscheidungen fällte, die im Interesse ihres Gatten, aber nicht Österreichs waren. Sie wusste, dass es eine schlechte Entscheidung war, aber da sie Rücksicht auf ihren Mann nahm, handelte sie trotzdem so. Jedoch korrigierte sie sich ein paar Jahre später und ließ das Interesse des Reiches obwalten. Bis zum Schluss hoffte sie, dass ihr Mann ein zunehmend besserer Ko-Regent würde. Allerdings vergeblich – sein einziges echtes Talent bestand darin, Geld zu machen. Maria Theresia wollte, dass er bewundert würde, und erst als sie realisierte, dass er der Aufgabe nicht gewachsen war, schob sie ihn behutsam zur Seite.

STANDARD: Besteht darin die von Ihnen erwähnte "Weiblichkeit der Machtausübung" Maria Theresias?

Badinter: Ja, in der Substanz ist es das Triptychon aus Ehe, Kindern und Arbeit. Das war damals unbekannt in Europas Herrscherkreisen. Ein Fürst wie Ludwig XV. – um Maria Theresias Zeitgenossen zu nehmen – hätte sich nicht annähernd in gleichem Maße um das Fortkommen der Gattin oder der Kinder gesorgt. Katharina war in Russland nie damit konfrontiert, auch andere Herrscherinnen nicht – sie regierten wie Männer, kümmerten sich nie um den Status ihrer Partner, Gatten oder Liebhaber. Dass Maria Theresia für alle drei Faktoren, Gatte, Status und Kinder, vollumfänglich aufkommen musste, auch wenn sich daraus ständig Widersprüche dazwischen ergaben, macht sie zu einer – und zwar damals einzigartigen – Frau der Moderne.

STANDARD: Wie die Pariserin, die am Morgen ihre Kinder zur Arbeit bringt, dann ins Büro fährt, um abends vielleicht noch schnell den Liebhaber zu sehen, bevor sie zum Kochen nach Hause hetzt?

Badinter: Man muss natürlich die Proportionen wahren: Maria Theresia hatte eine Menge Bedienstete und keine materiellen Sorgen, sondern Autorität über alle anderen. Umgekehrt hatte sie 16 Kinder, dazu einen unbeständigen Gatten. Wenn Maria Theresia allgemein an die Situation der heutigen Frauen erinnert, dann eben weil sie als Herrscherin rund um die Uhr zwischen ihren drei Rollen pendeln musste; sie musste sie miteinander in Einklang bringen, sie musste Widersprüche auflösen oder vereinen, Prioritäten festlegen, Beschlüsse fällen, zwischen Herz und Verstand entscheiden. Im Unterschied zu heute war das zu jener Zeit an einem Fürstenhof völlig unbekannt.

STANDARD: Auf dem Buchumschlag der französischen Buchausgabe prangt ein Zitat von Friedrich II., laut dem Maria Theresia "Lust zu dominieren" hatte. Wie war ihr Verhältnis zur Macht?

Badinter: Maria Theresia war eine Herrscherin, die ihre Lust zum Herrschen durch einen unglaublichen Charme und diplomatisches Geschick zu bemänteln wusste. In Versailles warnte der König seine Botschafter: "Seid vorsichtig, lasst euch von dieser Frau nicht bezirzen!" Aber Maria Theresia liebte die Macht und übte sie bis zu ihrem Tod aus. In Frankreich wissen wir von François Mitterrand, dass die Macht wie ein Wunderpulver wirkt und im hohen Alter oder trotz schwerer Krankheit noch klarsichtig zu regieren befähigt. Maria Theresias letzter großer Akt bestand darin, mit dem Preußen Friedrich – und gegen den Willen ihres Sohnes Joseph – einen Krieg zu beenden, was Österreich nur nützte.

STANDARD: Der Zyniker Friedrich sagte einmal, Maria Theresia stehle wie alle Herrscher neues Land, nur vergieße sie darüber Tränen. Eine Spielart von Frauenpower?

Badinter: In moralischer Hinsicht liegt Maria Theresia doch noch über Friedrich. Im Falle Polens verriet sie ihre Prinzipien weniger klar. Dass sie es in gewisser Hinsicht trotzdem tat, weckte gerade mein Interesse. Die Frau, die in ganz Europa im Ruf einer hohen, ja vielleicht christlich-exzessiven Moralität stand, beteiligte sich wider ihre Prinzipien an der Aufteilung Polens. Das stellte sie indessen nicht vor eine Zerreißprobe. Ich sehe darin eher eine menschliche Schwäche. Maria Theresia unterlag einer Duplizität – sie war moralisch, charmant und diplomatisch, verfügte aber auch über einen immensen politischen Instinkt, den sie einzusetzen wusste, wenn sie etwa mit dem Erbfeind Frankreich zielsicher eine Allianz einging. Zu ihren femininen Waffen gehörte es, in der Öffentlichkeit zu weinen. Auf diese Weise appellierte sie an den ritterlichen Geist der Ungarn, ihr gegen Friedrich zu Hilfe zu eilen. Das tat sie mit viel Talent.

STANDARD: Also eine begabte Schauspielerin?

Badinter: Schon als Kind hatte Maria Theresia die Theaterkunst gelernt, und alle sagten, sie sei eine wunderbare Schauspielerin. Wenn sie wollte, konnte sie auf Knopfdruck weinen, um eine Sekunde später wieder eine andere Gemütsverfassung einzunehmen. Nachdem sie die wackeren Magyaren mit ihrer Sanftheit umgarnt hatte, befolgte sie bei der Krönung den sehr kriegerisch-männlichen Ritus des Schwerthaltens.

STANDARD: Hatte Sie, die liebende Mutter und Gattin, nicht ein Faible für alles Militärische?

Badinter: Sie verleihte dem große Bedeutung. Gegen den Einspruch des alten Adels holte sie sogar die nichtadligen Offiziere an den Hof. Aber von all ihren Waffen, die sie einsetzte, war die stärkste ihr Image einer umsorgenden Mutter. Sie förderte es bewusst, indem sie sich viermal hintereinander mit einer wachsenden Zahl eigener Kinder malen ließ. So verbreitete sie im Reich das Bild der "guten Herrschermutter". Das war etwas völlig Neues für jene Zeit, und es hat sich bis heute gehalten, gilt Maria Theresia doch weiterhin als die Mutter des österreichischen Volkes. Dieses Image entstand nicht einfach so, sie hat es selbst fabriziert. Und damit stürzte sie die Ordnung der Dinge um.

STANDARD: Inwiefern?

Badinter: Als ihr Vater 1745 starb, glaubte niemand, dass die 27-jährige Regentin die Macht länger als einen Winter ausüben würde. Da sie vom Kaiser auch nicht auf die Ausübung der Macht vorbereitet worden war, lautete die allgemeine Annahme, sie werde sich bald wieder dem Aufziehen der Kinder widmen. Aus dieser Schwäche machte sie eine Stärke, indem sie die Kinderfrage in einen Faktor der Machtausübung verwandelte. Auch mit dieser Mutterrolle stellte sie ihren sicheren politischen Instinkt unter Beweis – und schuf letztlich eine Form des Matriarchats. Da kann man nur sagen: Hut ab!

STANDARD: Umso mehr ist man überrascht, in Ihrem Buch zu lesen, dass Maria Theresia unter Depressionen und Manien gelitten habe.

Badinter: Davon bin ich überzeugt, und zwar aufgrund ihrer Privatkorrespondenz etwa mit Obersthofmeister Orsini-Rosenberg oder Hofbaumeister Silva-Tarouca, zu denen sie volles Vertrauen hatte. Ihnen schreibt sie an einem Tag, sie könne einen bestimmten Anwalt nicht besuchen, da sie den ganzen Tag über geweint habe und verzweifelt sei. Den ganzen Tag über! Ich bin nicht Psychiaterin, ich habe keine Diagnose zu stellen, aber ich entnehme ihren Briefen, dass sie einmal einer Depression anheimzufallen konnte und am anderen Tag wieder fünfzehn Stunden arbeitete, ja bisweilen eine Hyperaktivität entwickelte. Ich glaube, Maria Theresia verbarg ihre Depression sehr gut. In ihren Briefen hingegen, in denen sie sich stets sehr gewandt und klar ausdrückte, stand sie mit großer Offenheit zu ihrer Befindlichkeit. So offen, dass sie die Empfänger am Schluss aufforderte, den Brief zu verbrennen.

STANDARD: Der Briefkontakt mit der eigenen Mutter blieb hingegen äußerst kühl.

Badinter: Ja, da zwischen den beiden Frauen bestand eine große Distanz. Ein Grund war sicher, dass sich die Mutter wenig um klein Maria Theresia gekümmert hatte. Ein zweiter anderer dünkt mich aber ebenso interessant: Diese Mutter hatte ihrerseits nach Macht gedürstet und darunter gelitten, dass sie nie dazu in der Lage war zu regieren. Zwischen einer Mutter und einer Tochter, die beide so sehr auf Macht aus waren, konnte es keine wirklich befriedete Beziehung geben. Das mag diese Distanziertheit erklären.

STANDARD: Woher rührte denn dieser Machthunger Maria Theresias? Suchte sie die Anerkennung des – später nur noch imaginären – Vaters?

Badinter: Ich bin mir nicht sicher, ob sie ihren Vater überhaupt bewunderte. Mehr als Respekt brachte sie ihm gegenüber kaum auf. Die Bewunderung galt drei wichtigen Frauenfiguren: der Mutter, der Gouvernante, der Tante. Sie vermittelten dem Mädchen vorbildlich den Geschmack der Machtausübung. Sicher ist, dass Maria Theresia schon sehr früh darauf kam. In den Briefen eines venezianischen Botschafters steht zu lesen, dass das junge Mädchen einen ausgesprochenen Hang zur Autorität und Machtausübung besitze, der bis zur Kritik an den Entscheidungen des Kaiservaters gehe.

STANDARD: Ein Wille zur Macht also von Kindesbeinen an?

Badinter: Ja, und ein sehr feminines Machtverständnis.

STANDARD: Sie schreiben in Ihrem Buch, Maria Theresias Schicksal spiegle auch die "düstere Seite" der Habsburger wider. Fiel Ihnen das als Französin im Vergleich zum Glanz von Versailles auf?

Badinter: Maria Theresia lebte viel einfacher als der französische Hof, ein wenig wie eine großbürgerliche Frau in Frankreich. Zum Luxus und Schein von Versailles gab es einen großen Unterschied, und die Österreicher ihrer Epoche ironisierten gerne die Leichtigkeit der Franzosen. Zwischen Versailles und Wien herrschte eine Beziehung gegenseitiger Bewunderung und Zurückweisung. Das Vergnügen, dem sich der französische Hof hingab, war nicht Maria Theresias Sache. In dieser Hinsicht nahm sie ein wenig – ich betone: ein wenig – die Periode vorweg, die in Großbritannien zu Victoria führte. In Lebensweise und Moral waren sich die beiden Frauen näher, als man vielleicht meinen würde.

STANDARD: Was hat Sie als Französin bei der Aufarbeitung des Themas Maria Theresia am meisten überrascht?

Badinter: Ich glaube, es war wie schon angetönt der Eindruck, dass diese Frau uns noch heute etwas zu sagen hat. Ich habe mich sieben Jahre lang mit dem Thema beschäftigt, und ich hatte stets den Eindruck einer gewissen Vertrautheit. Viele Frauen mögen sich darin erkennen, wie Maria Theresia mit den Widersprüchen, Spannungen und Problemen ihres Lebens umgegangen ist. So fern einem Katharina heute scheint, so nahe fühlt man sich Maria Theresia. Trotz ihrer Bigotterie, ihrer oft reaktionären Ansichten und ihres regelrechten Hasses auf Protestanten und Juden fühle ich mich ihrer Conditio als Frau sehr verbunden. (Stefan Brändle, 4.3.2017)