"Wir müssen, wenn es Probleme gibt, diese als unsere Probleme, als Probleme Österreichs betrachten", meint Zekirija Sejdini.

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Das Kopftuchthema sollte im Kontext und nicht separiert diskutiert werden, findet der Islam-Theologe.

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STANDARD: An welcher Glaubensrichtung des Islam orientiert sich das Theologiestudium?

Sejdini: Wie alle theologischen religionspädagogischen Studien hat auch unseres eine gewisse Ausrichtung, die dem Sunnitentum zugeordnet werden kann. Wobei wir großen Wert darauf legen, die innerislamische Vielfalt miteinzubeziehen, um die Wissenschaftlichkeit zu gewährleisten. Wir sind ja keine Koran- oder Imamschule, wo eine bestimmte Glaubensrichtung vorherrscht. Das impliziert einen kritischen und analytischen Zugang zu allen muslimischen Strömungen. Wenn dem nicht so wäre, hätte die Theologie oder Religionspädagogik keinen Platz an der Universität.

STANDARD: Das Thema Islam ist gesellschaftspolitisch sehr präsent und mit vielen Ängsten sowie Vorurteilen behaftet. Inwiefern fließt das im Studium mit ein?

Sejdini: Einerseits versuchen wir zwar bewusst auf gesellschaftspolitisch relevante Themen einzugehen, andererseits lässt uns der Kontext oft keine andere Wahl, wenn eine Theologie oder Religionspädagogik für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden soll. Sie muss daher die gesellschaftliche Realität berücksichtigen und Lösungsansätze bieten, da sie ansonsten lediglich eine Metaebene definiert, die dem Alltag wenig entspricht. Wenn es etwa um Gewalt und Terror geht, die im Namen des Islam geschehen oder damit gerechtfertigt werden sollen, müssen wir uns damit befassen und fragen, wie man dem in der Schule entgegenwirken kann.

STANDARD: Wie eng ist der Kontakt zur Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), die ja nicht unumstritten ist?

Sejdini: Wir verstehen uns gut mit der Vertretung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Tirol, die unser Ansprechpartner vor Ort ist. Sie hat uns bei der Gründung des Studiums und bei weiteren Aktivitäten stets unterstützt. Mit der Zentrale in Wien kommunizieren wir eher selten direkt. Die IGGiÖ ist eine sehr wichtige österreichische Errungenschaft, die in dieser Form in Europa einmalig ist, was sie jedoch nicht vor Kritik schützt. Wie jede Institution braucht auch die IGGiÖ konstruktive Kritik. Ich hoffe, dass die Glaubensgemeinschaft diese Kritik nicht ignoriert und bei ihrer weiteren Entwicklung berücksichtigt.

STANDARD: Wie stehen Sie zur Diskussion um ein Kopftuchverbot?

Sejdini: Diese Diskussion hätte in einem Gesamtkontext stattfinden müssen und nicht so separiert. Für eine konstruktive Auseinandersetzung wäre ein gesamtgesellschaftlicher Austausch über die Frage, wie viel Religion der Staat unter den veränderten Umständen verträgt, vonnöten gewesen. Denn durch die Änderung der Umstände werden immer wieder neue Fragen aufkommen, die geregelt werden müssen. Jedoch hat die Art und Weise, wie die Kopftuchdebatte zuletzt lief und dass sie nun Teil eines Integrationsgesetzes ist, einen fahlen Beigeschmack hinterlassen. Ich glaube, nach 100 Jahren Islamgesetz in Österreich sollten wir eine andere Kultur des Miteinander-Redens etabliert haben.

STANDARD: Ein anderer Aufreger war die Diskussion um islamistische Kindergärten in Wien. Wo lag dort der Fehler?

Sejdini: Nun, es gibt sicherlich solche Kindergärten, die unseren Standards nicht entsprechen und die bewusst oder unbewusst solche Tendenzen stärken. Sie müssten, wie alle anderen Kindergärten, von den staatlichen Behörden kontrolliert und bei einer Bestätigung der Vorwürfe entsprechend den Vorschriften geschlossen werden. Es darf aber nicht sein, dass alle islamischen Kindergärten aufgrund einzelner islamistisch ausgerichteter Kindergärten unter Generalverdacht geraten.

STANDARD: Wie kann eine akademische Auseinandersetzung mit dem Islam hier helfen?

Sejdini: Die Missstände, wie etwa im Fall der Kindergärten, sind die Folge einer jahrzehntelangen Vernachlässigung. Wir haben diesen Personen den Raum gegeben, Lücken zu füllen. Daher müssen wir, wenn es Probleme gibt, diese als unsere Probleme, als Probleme Österreichs betrachten. Und nicht als Probleme der Muslime. Es ist ein österreichisches Problem, weil die Leute hier leben, weil die Leute hier ihre Genehmigung für diesen Kindergarten erhalten haben. Wir haben jetzt erst seit drei, vier Jahren dieses Institut, an dem Lehrer ausgebildet werden. In der Vergangenheit hatten wir so etwas nicht.

STANDARD: Hat der Staat hier versagt?

Sejdini: Dieser Aspekt ist zumindest vernachlässigt worden. Leider kam das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer theologischen Beheimatung erst im Anschluss an die verheerenden Terroranschläge auf. So wie auch die Integration lange vernachlässigt wurde, hat man es verabsäumt, darauf zu achten, welche Theologie die Leute konsumieren. Das Fehlen eines islamisch-theologischen Studiums in Österreich hat dazu geführt, dass die Muslime lange Zeit auf eine Theologie angewiesen waren, die ihrem Kontext nicht entsprach, die ganz woanders produziert wurde.

STANDARD: Es wird also immer ein westlicher Islam eingefordert, aber man gab ihm nie die Möglichkeit, sich zu entwickeln?

Sejdini: Richtig. Denn wenn man ihm die Mittel und den Raum gibt, dann entwickelt sich dieser Islam ganz von selbst. An einer säkularen Universität ist man herausgefordert, eine Theologie zu entwickeln, die sich am Kontext orientiert. Denn dort müssen gewisse wissenschaftliche Standards eingehalten werden. Das war auch in der katholischen oder evangelischen Theologie der Fall. Aber diesen Raum hatten Muslime nie.

STANDARD: Also ist die Diskussion, ob der Islam Teil des Westens ist, müßig?

Sejdini: Ja, denn die Leute leben hier. Heute noch die Frage zu stellen, ob der Islam dazugehört oder nicht, ist schon sehr komisch. Wichtiger als die Frage, wer wohin gehört, ist die Frage, was wir gemeinsam gegen radikale Tendenzen – egal aus welcher Ecke sie kommen – unternehmen können. Um den Herausforderungen der Gegenwart entgegenwirken zu können, bedarf es eines Zusammenhalts der Gesellschaft, der auf bestimmten Werten wie Pluralität, Säkularität, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten gründet. Uns sollte bewusst sein, dass die Trennlinien innerhalb der Gesellschaft nicht zwischen religiösen oder ethnischen Gruppen verlaufen, sondern zwischen bestimmten Geisteshaltungen, die in jeder Religion und Kultur vorhanden sind. Bestimmte Gruppen wollen aus bestimmten Gründen das hier zerstören, und dagegen müssen wir alle zusammen kämpfen. Denn wenn wir uns in diesem Kampf auseinanderdividieren lassen, haben wir schon verloren. (Steffen Arora, 5.3.2017)