Geschrieben hatte "Ice Music for Sydney" (1967) Jim McWilliams. Das Cello zum Schmelzen brachte Charlotte Moorman.


Foto: Courtesy of Kaldor Public Art Projects

Salzburg – Mit einem Bikini aus Glühbirnchen betritt die Cellistin Charlotte Moorman die Bühne, als sie im Februar 1967 in New York das Stück Opera Sextronique aufführt. Das ging noch. Im zweiten Akt aber – Moorman spielt Brahms' Wiegenlied, unter anderem mittels auf ihre Brüste geschnallter Minipropeller – ist sie "oben ohne". Huch! Polizisten erklimmen die Bühne, Moorman kommt mitsamt dem Komponisten des Stücks, Nam June Paik, vorübergehend ins Gefängnis, angeklagt unziemlicher Entblößung.

Es ist ein verhängnisvoller Skandal. Einerseits wird Moorman als "topless cellist" schlagartig einer breiten Masse bekannt. Andererseits geraten ihre künstlerischen Errungenschaften medial freilich in den Schatten: ihr langjähriger Einsatz für die Avantgarde, ihre unzähligen Kollaborationen dies- und jenseits des Atlantiks. Mancher Wegbegleiter aus Kunstkreisen, der ihren körperliche Reize inkludierenden Feminismus von jeher skeptisch beäugt hatte, wendet sich ab. Als Moorman 1991 stirbt, verblasst sie im kollektiven Gedächtnis rasch.

Was sich festigt, ist nicht zuletzt das Image von Moorman als "Muse" und "lebender Skulptur", die vor allem von den Herren gestaltet wurde. Wer aber war diese Frau, die sich von ihrem langjährigen Komplizen Paik kleine Bildschirme auf die Brüste schnallen ließ, wirklich? Eine Antwort auf diese Frage versucht aktuell das Salzburger Museum der Moderne (MdM). Nachdem 2015/16 das Oeuvre Carolee Schneemanns neu durchleuchtet wurde – übrigens befreundet mit Moorman und unter zeitgenössischen Hardlinerinnen als Feministin ebenso angezweifelt – ist 2017 Moorman dran. Ein Fest des Staunens heißt die schöne Schau, die letztes Jahr schon in New York Erfolge feierte.

Anhand von Fotos, Videos, Objekten nähert man sich zunächst der Interpretin Moorman. Geboren 1933, hatte sie Cello studiert und es als Instrumentalistin zu Bekanntheit gebracht. Dann stieß sie durch einen Freund auf John Cages Stück 26'1.1499 for a string player. Ganz der Fluxusidee George Brechts folgend, Musik sei nicht nur das, was man höre, sondern alles, was geschehe, wird darin das Cellospiel um Geräusche und Handlungen erweitert. Für Moorman bedeutete diese Entdeckung eine geradezu "mystische Erfahrung". Das Werk wurde zum Herzstück ihres fortan stetig wachsenden Repertoires. Für Jim McWilliams spielte sie auf einem Cello aus Eis, das in ihrem Schoß schmolz, oder an einer Traube Heliumballons in der Luft hängend. Joseph Beuys widmete ihr ein Stück.

Im MdM ist dabei die Erkenntnis zu machen, wie sehr Moorman die Stücke, die sie spielte, zu ihren eigenen machte. Eine bemerkenswerte Umdeutung nahm sie etwa an Yoko Onos Cut Piece vor. An diesem ikonischen Stück, bei dem der Performerin vom Publikum das Gewand vom Leib geschnitten wird, hob sie nicht das Gefühl der Ausgesetztheit hervor, sondern sah darin die Möglichkeit zum friedvollen, ja "zärtlichen" Austausch mit dem Publikum.

Avantgardemusik im TV

Nicht immer waren Moormans Aneignungen indes im Sinne der Erfinder. John Cage etwa war der Auffassung, sie habe 26'... "von Anfang an verschandelt", weil sie die Performance zu wichtig nehme. Tatsächlich aber war Moorman, die Edgar Varèse später als "Jeanne d'Arc der Neuen Musik" bezeichnete, nicht zuletzt von ungebändigter Vermittlerlust getrieben. Sie wollte jene "mystische Erfahrung" weitergeben und griff dabei auf ihr untrügliches Gespür für, ja, "Show" zurück.

Bezeichnend ist, dass sie Cages Stück gar in Fernsehshows brachte, wovon im MdM Videos zu sehen sind. Die Künstlerin spielt Cello, bläst eine Pfeife, spielt wieder Cello, rasselt mit Dosen, greift zur Bombe, die zum Cello umgebaut ist. Und so weiter. Es ist eine spannende Frage der Ausstellung, ob man hier mit Cage leiden will, während die Klangkunst als Klamauk verkauft wird.

Ganz Vermittlerin war Moorman schließlich aber auch, als sie 1963 das New York Avantgarde Festival gründete, das sie insgesamt 15 Mal organisierte. An immer spektakuläreren Orten wie der Grand Central Station, späterhin auch bei freiem Eintritt, zelebrierte man in immer größeren Dimensionen das Randständige. Mit einem "plötzlich hereinbrechenden Frühlingsgewitter" verglich ein Journalist eines dieser Events. Und tatsächlich gelingt es der Ausstellung, eine Ahnung dieses Gefühls zu vermitteln. (Roman Gerold, 6.3.2017)