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Wien – Die "innere Angelegenheit" der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), für die sie deren Wortführer halten, zieht weite Kreise: Auf breiten Einspruch stößt jenes theologische Gutachten (Fatwa), in dem der hauseigene Mufti unter Berufung auf jahrhundertealte Quellen das Kopftuch für Frauen zum "religiösen Gebot (Fard)" erklärt. Lediglich eine von der Politik aufgebauschte Debatte, wie IGGiÖ-Präsident Ibrahim Olgun sagte? Wohl kaum: Denn Kritik regt sich mittlerweile auch in der Gemeinschaft selbst.

"Kontraproduktiv" nennt Olguns Vorgänger Fuat Sanac den Kopftuch-Erlass. "Wir leben in einer offenen Gesellschaft, jede Frau muss selbst entscheiden, was sie trägt", sagt der türkischstämmige Theologe, der die islamische Gemeinde von 2011 bis 2016 angeführt hat: Niemand dürfe gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen, denn "Glaube kommt von Herzen". Seinen Nachfolgern rät er, sich an der österreichischen Gesellschaft zu orientieren: "Wir müssen in der Mitte bleiben." Seit Februar rät die IGGiÖ erwachsenen Musliminnen zum Tragen eines Kopftuchs.

Nur ein Kleidungsstück

Für "problematisch" hält Carla Amina Baghajati, dass das Tragen des Kopftuchs als "Gebot" bezeichnet wird, schließlich assoziiere man damit im religiösen Kontext etwas absolut Verbindliches. "Das Kopftuch ist keine Säule der Religion", schreibt die Frauensprecherin der IGGiÖ in einem Text anlässlich des Frauentages, dieses Stück Stoff habe nichts Heiliges, sondern sei "schlicht und einfach" ein Kleidungsstück: "Kopftuchtragen hat im Islam nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin."

Musliminnen seien gut beraten, "die Deutungshoheit darüber, was sie anziehen oder nicht anziehen, bei sich selbst zu halten", argumentiert Baghajati. Nicht, dass Fatwas muslimischen Frauen nicht auch nützen könnten: "Aber bitte zu den Dingen, wo wir wirklich eine Rückenstärkung für unsere kontextorientierte Argumentation brauchen: gegen Gewalt an Frauen zum Beispiel."

Türkisch-nationalistischer Hintergrund

Hintergrund: Dem Vernehmen nach sollen warnende Stimmen in der IGGiÖ auf Olgun eingeredet haben, von der Veröffentlichung des Gutachtens abzusehen – doch der habe sich nicht beirren lassen. Erstellt hat die Fatwa der theologische Beratungsbeirat unter der Federführung von Mufti Mustafa Mullaoglu. Dieser steht der türkisch-nationalistischen Milli-Görüs-Bewegung nahe, die eine an islamischen Grundsätzen orientierte Ordnung propagiert.

Kritik deponieren auch die Grünen. Das Gutachten schließe eine zeitgemäße Interpretation des Islam aus und nehme Frauen und Mädchen das Recht auf Selbstbestimmung, wie sie ihre Religion praktizieren wollen, urteilt Menschenrechtssprecherin Alev Korun. Zudem werde damit die Kluft zwischen Muslimen und Nichtmuslimen vertieft.

Ähnliche Befürchtungen haben auch Vertreter der Regierungsparteien geäußert. Einen Grund, das bestehende Islamgesetz zu ändern, wie das FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gefordert hat, sieht Regierungskoordinator Thomas Drozda (SPÖ) dennoch nicht. Er verweist auf das geplante "Neutralitätsgebot" für Polizei, Richter und Staatsanwälte, welches das Tragen besonders sichtbarer religiöser Symbole wie das Kopftuch verbieten soll.

Kopftuchdebatte andersrum

In die Kopftuchdebatte steigt auch Amnesty International ein – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert das von der Regierung ebenfalls geplan- te Antigesichtsverhüllungsgesetz. Für jene Frauen, die sich freiwillig verhüllen, stelle das Verbot einen Eingriff in die Meinungs- und Religionsfreiheit dar, sagt Geschäftsführerin Annemarie Schlack. Dem anderen Teil der Frauen, der zum Gesichtsschleier gezwungen wird, sei mit einer solchen Maßnahme auch nicht geholfen – im Gegenteil: "Das Verbot, wird es ihnen noch schwerer machen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen." (jo, APA, 7.3.2017)