Zugegeben, es ist nicht eben konsequent, sich über die Dauerpräsenz eines Themas zu beschweren, indem man selbst einen Beitrag dazu verfasst. Aber: Es ist Frauentag, das Jahr 2017, und seit nunmehr einer Woche zerreißt sich im Internet eine Schar von Leuten das Maul darüber, dass in einer Modezeitschrift die Brüste einer erwachsenen Frau zu sehen sind, und das wohlgemerkt nur teilweise. In der Märzausgabe der "Vogue" ist die Schauspielerin Emma Watson auf zehn Fotos abgebildet, auf einem davon trägt sie ein grobmaschiges Bolero-Jäckchen, darunter nichts.

Ihr Busen ist dabei nur in Ansätzen zu erkennen. Der Grad der Nacktheit ist aber ohnehin nicht der Punkt, der Anblick entblößter Frauen in Medien ist schließlich nichts Außergewöhnliches. Zum Skandal aufgeblasen wurde das Bild auch nur, weil es sich bei der Fotografierten um Emma Watson handelt: um die 26-jährige Britin, die sich mit ihrer Rolle als Hermine in den Harry-Potter-Verfilmungen, aber auch als feministische Aktivistin einen Namen gemacht hat. Wobei sie für Letzeres vermutlich weit weniger bekannt war. Bis jetzt zumindest. Denn genau das, ihr Engagement im Kampf um die Rechte von Frauen, steht im Zentrum der aktuellen Debatte.

Heucheleivorwurf

Darf eine Feministin ihre Brüste zeigen, fragt sich eine aufgebrachte Meute im Netz, und zwar angeführt von Frauen, ausgerechnet. Wobei sie die Frage selbst erst gar nicht in den Raum stellen, vielmehr hauen sie ihr bereits gefälltes Urteil mit Schaum vor dem Mund in die Tasten: Watson sei heuchlerisch, sie verrate den Feminismus, lautet der Vorwurf.

Man kann am 8. März die Notwendigkeit, immer noch und immer wieder auf die anhaltenden Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen hinweisen zu müssen, mit Zahlen argumentieren. Mit Statistiken, mit Analysen darüber, wo heute die größten Ungerechtigkeiten zwischen Mann und Frau bestehen und wo Entwicklungen im Wandel begriffen sind. Oder aber man wirft einen Blick auf aktuelle Debatten wie jene um Watsons Brüste.

Das Problem dieser Diskussion fängt bereits bei der Fragestellung an: Wer einer Frau, zumal einer Feministin, prinzipiell das Recht abspricht, selbst darüber zu entscheiden, was sie mit ihrem Körper zu tun und zu lassen hat, hat den Begriff Feminismus nicht verstanden. Feminist und Feministin ist, wer dieselben Rechte und Chancen für Frauen und Männer einfordert und wer für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eintritt. Diese beinhaltet das Recht auf Abtreibung ebenso wie die Freiheit, mit dem eigenen Aussehen und der eigenen Sexualität umzugehen, wie man möchte – ob nun mit nackter Haut, ausgewachsenen Achselhaaren oder buntem Make-up.

Diskussion legitim

An dieser Stelle folgt das zweite Aber in diesem Text: Das Argument der Selbstbestimmtheit ist nämlich auch eines, das jeden Ansatz einer Diskussion schnell einmal im Keim erstickt. Dabei wäre eine echte Debatte rund um Nacktheit und Feminismus durchaus legitim: Wer sich nackt abfotografieren lässt, läuft nämlich zunächst einmal immer schnell Gefahr, sexistische Stereotype zu bedienen, auch unter dem Deckmantel der Selbstbestimmtheit.

Der Kontext, heißt es dann immer, sei der springende Punkt. Und das stimmt, macht die Sache aber deshalb auch nicht einfach, das hat auch Emma Watson selbst schon zum Thema gemacht. Zeigt sich die deklarierte Feministin Lena Dunham etwa oben ohne, dann gilt sie als revolutionär, weil ihr Körper nicht dem konventionellen Schönheitsbild entspricht und sie mit ebendiesem spiele. Macht es Emma Watson, steht sie als Verräterin dar, weil ihr Körper schon eher dem konventionellen Schönheitsbild entspricht, sie also das darstelle, was sie eigentlich bekämpft.

Wie sieht die moralische Instanz aus, die die sich das Recht herausnehmen darf, für jemand anderen darüber zu urteilen, ob Nacktheit provokante Botschaft ist oder unbedarfter Ausverkauf eines Ideals? Ob jemandem Selbstbestimmtheit oder gar eine feministische Absicht zugetraut wird und wem wiederum unterstellt werden darf, sich dem Schönheitsideal gebeugt zu haben? Wenn wir problematisieren, dass sich Männer wegen Oberflächlichkeiten Urteile bilden, sollten wir das bei Frauen auch tun.

Die Entscheidung für oder gegen Nacktheit mag nicht immer nachvollziehbar sein, aber sie gibt niemandem das Recht, jemanden in den sozialen Netzwerken zum Abschuss freizugeben. Wenn es Männer irritiert, dass Frauen darüber selbst entscheiden, wie sie auftreten wollen, dann ist das schmerzlich genug. Wenn sich Frauen darüber echauffieren, dann tut das doppelt weh. Es ist eine bittere Bestandsaufnahme zum Frauentag 2017: Niemand darf scheinbar so dreist über Frauen herziehen wie Frauen selbst. (Anna Giulia Fink, 8.3.2017)