Bild nicht mehr verfügbar.

Der Schauspieler, Sänger und Produzent Matthias Schweighöfer.

Foto: picturedesk.com / laif / Marcus Hoehn

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Nächte durchmachen? Fehlanzeige bei Matthias Schweighöfer. Er steht lieber um 5.30 Uhr auf und geht laufen. Der Schauspieler lebt mit seiner Partnerin und den zwei Kindern in Brandenburg.

Foto: picturedesk.com / laif / Marcus Hoehn

Bild nicht mehr verfügbar.

"Lachen, Weinen, Tanzen" ist bei Limited Edition erschienen.

Cover: Limited Edition

Erster Eindruck, wenn man ihm gegenübersteht: Er ist gar nicht so groß wie angenommen. Ansonsten stimmt jedes Detail. Schweighöfer redet wie seine Figuren, schnell, wie aus der Pistole geschossen. Manchmal blödsinniges Zeug, manchmal Kraftausdrücke, um die Zündkraft der Gags zu erhöhen. Er hat sein Geschäft im Griff, seine Firma Pantaleon produziert Filme, betreibt einen Streamingdienst und veröffentlicht Musik. Wofür er keine Zeit mehr hat: Literatur. Als junger Mann hat er Max Frisch verehrt, inzwischen schläft er bei einem Buch ein, sagt er.

Seine Assistentin hat ihm vor ein paar Monaten eine Liste mit Romanen zusammengestellt, die er unbedingt lesen soll. An dem einen ist er seit ein paar Wochen dran. Vierzig Seiten hat er schon geschafft. Den Titel? "Verrate ich nicht", sagt er. Ist ihm zu peinlich. Nur ein Hinweis: "Ist von einem Österreicher."

STANDARD: Herr Schweighöfer, singen Sie unter der Dusche?

Matthias Schweighöfer: Nein, wenn man wie ich nur Schnellduscher ist, kann man kein Medley schmettern. Es gibt bestimmt Leute, für die es abgeht, wenn das Wasser rauscht, die in ihre Hände klatschen und "I Wanna Dance with Somebody" singen.

STANDARD: Sie singen lieber öffentlich. Wie Ihre Kollegen Uwe Ochsenknecht, Jan-Josef Liefers oder Heiner Lauterbach bringen Sie nun eine Platte heraus.

Schweighöfer: Ich schwöre, ich war nie ein Fan von Schauspielern, die auch noch meinen, singen zu wollen.

STANDARD: Sie verstehen, dass es Skepsis gibt?

Schweighöfer: Natürlich. Würde ich auch denken: Jetzt macht der Musik! Zu Hause auf meinem Digitalpiano hatte sich so viel selbstgemachte Musik angesammelt – ich wollte gucken, ob mir dazu etwas einfällt. Ich würde mir nie anmaßen, ein Musiker zu sein.

STANDARD: Es gibt Menschen, die können sich nicht einmal auf dem Anrufbeantworter hören.

Schweighöfer: Davon habe ich mich distanziert. Im Schneideraum sehe ich mich jeden Tag, höre mich sprechen, ich gucke da professionell drauf.

STANDARD: Und wie klingt Ihre Stimme?

Schweighöfer: Heute hat mir ein Mann auf Instagram ein Kompliment geschrieben: "Hey, ich höre normalerweise nur deutschen Rap, aber deine Stimme hat etwas total Beruhigendes." Gestern Abend hat meine Assistentin gesagt: "Du singst schön sauber." Das fand ich vernichtend. Als würde ich auf eine komische Art richtig singen. Einigen wir uns darauf, dass meine Stimme klar mit einem Hauch von Whiskey ist.

Cubetimes

STANDARD: Was waren die Lieder Ihrer Kindheit?

Schweighöfer: "Kleine weiße Friedenstaube" gehörte in der Pionierzeit im Osten auf jeden Fall dazu. Nach der Wende kamen Die Fantastischen Vier. "Die da!" habe ich in der mündlichen Leistungskontrolle Musik performt. Ich war elf, der einzige Junge in einer Klasse mit 28 Mädchen, ich habe mich vorn hingestellt, "ist es die da, die da, die da" gesungen und jeweils auf ein anderes Mädchen gezeigt. Damals trug ich richtig weite Jeans. Neubau-Baggy-Pants, achter Stock, Yorckgebiet, Chemnitz, das war meine Kindheit.

STANDARD: Damals wogen Sie 90 Kilo bei einer Größe von 1,70.

Schweighöfer: Vielleicht waren es nur 82. Ich bin nach der Schule ins Versorgungszentrum gegangen, so hieß unsere Shopping-Mall im Neubauviertel, kaufte eine Fünferpackung Schokoriegel und ein paar russische Zupfkuchen, zu Hause guckte ich "Wer ist hier der Boss?" und "Der Prinz von Bel Air" mit Will Smith – und futterte alles weg.

STANDARD: Das mochten die Mädchen?

Schweighöfer: Nein, der ausschlaggebende Moment kam mit 13, als mich jemand fragte: Sag mal, bist du ein Junge oder ein Mädchen? Da wusste ich, es wird Zeit, etwas zu tun.

STANDARD: Hat Musik Sie durch diese Zeit als erste Liebe begleitet?

Schweighöfer: Nein, das war Film. Nach der Wende sah ich die ganzen Hollywoodfilme, die im Osten vorher verboten waren. "E.T.", "Stirb Langsam", "Star Wars", all die großen Märchen aus Amerika. Stellen Sie sich vor, jemand will in Deutschland heute eine Geschichte über einen Außerirdischen erzählen, der auf unseren Planeten kommt, von seinem Volk vergessen wird und auf einen kleinen Jungen trifft, der ihm hilft, ins All zurückzukehren. Da würde jeder Produzent sagen: "Bist du behindert? Das machen wir nicht." Damals saß die ganze Welt im Kino, jeder fieberte mit, obwohl er wusste, dass das nicht real ist, und das entwickelte mit dem Soundtrack von John Williams eine unglaubliche Kraft. Deshalb wollte ich übrigens, dass mein Album filmische Qualitäten hat. Wir haben mit einem ganzen Orchester wie für einen Soundtrack aufgenommen.

STANDARD: Bands wie Coldplay machen das seit Jahren.

Schweighöfer: Das letzte Konzert, nach dem ich richtig berührt nach Hause gegangen bin, war von Coldplay 2006. Zum Nachdenken und zum Ausflippen. Ich habe geschrien wie ein Mädchen.

STANDARD: Ganz schön lange her für ein gutes Konzert.

Schweighöfer: Vor ein paar Monaten habe ich den Rapper Marteria in der Waldbühne gesehen. Zwei Stunden Feiern. Oder letztes Jahr Rammstein, die haben drei Abende hintereinander in der Waldbühne gespielt, während wir gegenüber auf dem Teufelsberg "You Are Wanted" gedreht haben.

STANDARD: Das ist die Amazon-Serie, die Mitte März startet – Sie haben das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und spielen die Hauptrolle (siehe Gott des Gehackten: "You Are Wanted").

Schweighöfer: Im Schneideraum musste ich jeden einzelnen Song herausfiltern, so laut waren die Jungs. An einem Abend bin ich rüber zum Konzert und auf die Bühne. Ich werde nie vergessen, wie plötzlich 15.000 Zuschauer schrien: Matthias!

STANDARD: Komisch, unter Beobachtung zu feiern.

Schweighöfer: Ach, das ist ein gegenseitiges Anstacheln. Die Show war wie eine Theaterinszenierung mit viel Feuer, aber da gab es nicht den magischen Moment. Enno Bunger hingegen, ein deutscher Songwriter, berührt mich emotional anders.

Amazon Video DE

STANDARD: Gefühlige Musik, keine Partynächte, so vernünftig?

Schweighöfer: Ich mag kein Chaos. Mein Leben ist bewegt genug. Bei mir hakt es aus, wenn ich jogge. Manche sind nach einer Dreiviertelstunde fertig, ich kann mit einem Album von der Folkband Bon Iver auf den Ohren drei Stunden laufen.

STANDARD: Andere leben das Rave-Gefühl von "Drei Tage wach" auf der Tanzfläche.

Schweighöfer: Wäre mir zu anstrengend. Sehen Sie, es gibt Menschen, die lieben es, in der Nacht auszugehen. Ich stehe gern um 5.30 Uhr auf, fahre nach Köpenick und laufe zwei Stunden um den Müggelsee, wenn die Sonne aufgeht. Keiner da, toll.

STANDARD: Da kriegen Sie Rauschzustände.

Schweighöfer: Als wir vor zwei Jahren in Kapstadt "Der geilste Tag" gedreht haben ...

STANDARD: ... der Film über zwei Kranke, die sich einen letzten Traum erfüllen ...

Schweighöfer: ... da bin ich vom Hotel losgelaufen, habe einen Pinienwald entdeckt, mit Buche und deutscher Eiche drin. Ich rannte weiter, hoch auf die Spitze des Lion's Head, runter zum Meer, dreieinhalb Stunden wie ein Wahnsinniger.

STANDARD: Am Ende übergaben Sie sich?

Schweighöfer: Ich merkte die Anstrengung genauso wenig wie jemand, der zwei Tage im Berghain tanzt.

Warner Bros. DE

STANDARD: Der Film gehörte zu den erfolgreichsten des vergangenen Jahres. 2005 haben Sie 15 Monate lang kein Angebot bekommen. Hatten Sie Zukunftsängste?

Schweighöfer: Ich habe mir überlegt, was ich gern drehen würde, und das Geld ausgegeben, das ich mit den Filmen zuvor verdient hatte. Was ich mir wünschte, kam nicht. Kurz nach der Pause habe ich "Keinohrhasen" mit Til Schweiger gedreht. Ich habe gesehen, wie jemand unabhängig arbeitet. Til muss nicht warten, bis ihm jemand einen Actionfilm anbietet, er dreht ihn selbst. Da habe ich mich gefragt: Warum versuche ich es nicht mit eigenen Produktionen?

STANDARD: Manche Schauspieler überlegen sich vorher, ob sie in einem Film mit Til Schweiger mitspielen möchten.

Schweighöfer: Als ich mit Til drehte, fühlte ich mich wie Will Smith. Ich durfte Quatsch machen. Es war trotzdem eine erschütternde Erfahrung.

STANDARD: Sie meinen den fertigen Film?

Schweighöfer: Nein, danach habe ich für "Zwölf Meter ohne Kopf" einen Piraten gespielt, habe mir drei Monate den Arsch aufgerissen, Riesenprobleme in der Beziehung gehabt, weil ich ständig weg war, dann gingen wir auf Kinotour, ich komme in den Saal in Rostock rein, und von 120 Plätzen sind nur 35 besetzt. Nebenan im Kino 9 lief zur selben Zeit "Keinohrhasen", da waren alle 1000 Plätze ausverkauft.

STANDARD: Seitdem drehen Sie leichte Filme – als Regisseur und Darsteller in einer Person.

Schweighöfer: Ich würde mehr Genre machen, Action, Thriller, Arthouse. Für eine Produktion, die einem meiner Lieblingsfilme, "Million Dollar Baby", entspräche, müsste ich in Deutschland sechs Millionen Euro mit meiner Firma in die Hand nehmen. Das heißt, 1,2 Millionen Zuschauer müssten hineingehen. Ich würde das Risiko eingehen, dazu brauche ich jedoch zwei Kassenerfolge, die mir das Geld geben.

STANDARD: Beziehungskomödien?

Schweighöfer: Das ist ernüchternd. Es hat mir Spaß gemacht, solche Stoffe zu drehen, aber langsam reicht es.

STANDARD: Im Moment ...

Schweighöfer: ... bin ich auf dem Absprung zurück ins ernste Fach.

STANDARD: Nehmen Sie mal an, Sie hätten nun einen Monat Freizeit. Was würden Sie tun?

Schweighöfer: Nach Amerika gehen.

STANDARD: Welche Musik hätten Sie im Kopf?

Schweighöfer: Den Jazzsänger Tony Bennett habe ich wiederentdeckt. Da tauchen Bilder auf. Gelbes Licht in New York auf der Fifth Avenue, mit dem Taxi am Plaza Hotel vorbei, rein in den Central Park, ich trinke ein Glas Weißwein. Ein Taxi hält vor mir an, der Fahrer schreit: Wohin willst du? Zum Flughafen!

STANDARD: Schönheitsfehler: Sie leiden unter Flugangst.

Schweighöfer: Leider, das nervt. In meinem Job ist das beschissen. Weder Therapie noch Tabletten helfen mir.

STANDARD: Was tun Sie, wenn Sie doch fliegen sollen?

Schweighöfer: Auto fahren.

STANDARD: Nach Kapstadt geht das schlecht.

Schweighöfer: Meine Firma hat mir extra einen First-Class-Flug spendiert. War vollkommen vergeudet. Ich habe nichts gegessen, nichts getrunken, während der zehn Stunden Nachtflug keine Sekunde geschlafen, sondern nur auf den Streckenmonitor vor mir geschaut. Es war eine Tortur.

STANDARD: Eine Ahnung, woran es liegt?

Schweighöfer: Als wir 2010 "Friendship" fertiggedreht haben, das Roadmovie zweier Jungs aus dem Osten, da hatte ich von New York zurück nach Frankfurt einen Horrorflug. Zuerst sind wir 20 Minuten in 1.000 Metern über Manhattan gekreist, ohne zu wissen, was los ist. Dann zog der Pilot die Maschine plötzlich auf 6.000 Meter hoch, und wir kamen in einen vierstündigen Schneesturm. Es war dunkel im Flugzeug, die ganze Zeit rumpelte es, wir sackten in Luftlöcher ab. Ich kenne Leute, die mit mir in der Maschine saßen und seitdem nie mehr geflogen sind.

STANDARD: Die Kinder werden sich bestimmt bedanken, dass sie wegen Ihnen nur ins Umland in die Ferien fahren.

Schweighöfer: Ich bin so groß geworden, dass alles mit dem Auto erledigt wird. Im Urlaub fahren wir für sechs Wochen nach Sardinien oder Mallorca. Wir mieten einen Bus, juckeln runter und halten unterwegs auch mal zwei Tage in den Bergen an. Allerdings werden wir dieses Jahr zum ersten Mal die Ferien zusammen in Amerika verbringen.

STANDARD: Aha, jetzt also doch.

Schweighöfer: Ich fliege Mitte März rüber, weil ich wegen der Amazon- Serie ein paar Termine in den Staaten habe. Die Familie kommt nach, das müssen die Kinder nicht miterleben, wie Papa im Flugzeug austickt.

STANDARD: Andere stornieren gerade ihre Reisen in die USA.

Schweighöfer: Das Land selbst toppt für mich alles. Vor kurzem bin ich um drei Uhr nachts aufgewacht und hab gedacht: Mist, ich habe den Super Bowl verpennt! Ich habe noch das Ende gesehen, wie Tom Brady den Rückstand aufgeholt hat, Wahnsinn! Ich habe gleich geguckt, in welcher Stadt die Pats trainieren, im Netz Bilder von New England, Maine, Boston gesehen. Der Indian Summer, wie toll das aussieht, welche Landschaften Amerika hat, da bekam ich wieder Sehnsucht. (Ulf Lippitz, Rondo, 9.3.2017)