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Gillian Anderson hat ein Manifest für Frauen geschrieben.

Foto: AP/Monika Skolimowska

Gillian Anderson, den meisten bekannt aus Akte X und The Fall, hat gemeinsam mit Jennifer Nadel ein Manifest für Frauen, die mehr vom Leben wollen, verfasst, das soeben in London im Rahmen des "Women of the World" (WOW)-Festivals im Southbank Centre vorgestellt wurde.

Dass eine Hollywoodschauspielerin in Eigenregie Ratgeberliteratur schreibt und dabei kritisch zu ihrem eigenen Leben Stellung bezieht, ist außergewöhnlich. Genau das tut Anderson, die in den vergangenen Jahren nicht nur im Fernsehen, sondern auch im Theater präsent war und sich als Aktivistin für Frauenrechte und gegen Menschenhandel eingesetzt hat – meist gemeinsam mit ihrer Co-Autorin und Freundin, der Londoner Schriftstellerin und Journalistin Jennifer Nadel.

We: A Manifesto for Women Everywhere

We, zu deutsch Wir, ist Andersons viertes Buch, und es ist anders als ihr bisheriges Werk. Nach einem mit Jeff Rovin verfassten Science-Fiction-Dreiteiler spielt We ganz in der Gegenwart, "von zwei Freundinnen, die nebeneinander hergestolpert sind, es versucht haben, dann versagt haben, geweint, gelacht, gelernt und es wieder versucht haben", so das Vorwort von Anderson und Nadel. Der Text, der direkt mit der Leserin spricht, hat einen großen Anspruch und eine umfassende Vision: "Stell dir eine Schwesternschaft vor, quer durch alle Gesellschaftsschichten, Glaubensbekenntnisse und Kulturen, eine unausgesprochene Übereinkunft, dass wir, als Frauen, einander unterstützen und ermutigen." Es geht also um Kooperationen über Grenzen hinaus, um eine andere Welt zu erschaffen.

Erschreckend ehrlich

Zunächst klingt das merkwürdig: die international renommierte Schauspielerin und die Journalistin, zwei, die "alles" zu haben scheinen, als Weltverbesserinnen. Das ist in ersten kritischen Anmerkungen zum Manifest auch schon nachzulesen. Eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Text macht aber klar, dass Anderson und Nadel tatsächlich die Krisen ihres Lebens ins Auge gefasst haben, um diesen Text schreiben zu können, der teilweise erschreckend ehrlich ist: Es geht um Beziehungsprobleme, um Einsamkeit, um Sucht, um Herausforderungen bei der Erziehung der eigenen Kinder, und – sonst meist ein Tabu – um die Wechseljahre und ihre Symptome. Anderson und Nadel sprechen hier über das, was jüngeren Frauen noch bevorsteht.

We sieht sich als Ausgangspunkt einer Bewegung, "eine stille, friedliche Kehrtwende, die nicht der Zustimmung der Mächtigen bedarf". Diese Bewegung wird durch Zitate bekannter Frauen von Michelle Obama bis Margaret Mead zu Beginn jeden Unterkapitels kontextualisiert.

Erfrischend offen

Und We, so scheint es, ist bereits eine Bewegung. Das Buch, das von einer Website begleitet wird, soll Frauen helfen, untereinander Kontakte zu knüpfen und ihre Geschichten dort zu teilen. Anlässlich des Internationalen Weltfrauentags waren Anderson und Nadel auf vielen Events zu sehen – im großen und kleinen Rahmen. Erfrischend ist die Offenheit, mit der Anderson und Nadel etwa am Donnerstag beim gemeinsamen Frühstück mit Fans in einem Londoner Restaurant aus ihrem Leben erzählen, bereitwillig mitteilen, was sie tun, um im Gleichgewicht zu bleiben. Es ist, sagen die Verfasserinnen "ein zutiefst politischer Akt, in emotionaler, physischer und spiritueller Hinsicht für sich selbst zu sorgen".

Sie geben Tipps, aber stellen den Anwesenden auch Rückfragen – und dabei entsteht tatsächlich eine Art von Gemeinschaft: eine, die nicht mehr unterscheidet zwischen "Stars" und "Fans". Der Text, der zeitgleich mit dem englischen Original in deutscher Übersetzung von Diane von Weltzien beim Integral-Verlag erschienen ist, besteht neben Einleitung und einem bunten Anhang, der über Selbsthilfeorganisationen, unterschiedliche Therapieformen und einschlägige Religionen informiert, aus drei Teilen.

Teil eins fokussiert sich auf Praktiken, die von den Verfasserinnen als "Das Lebenswichtige" bezeichnet werden. Dazu zählen Dankbarkeit, liebevolles Denken, Verantwortung und Meditation – Praktiken, die Leserinnen entdecken und beibehalten sollen. Gemeinsam ist diesen sehr unterschiedlichen Kategorien, dass sie auf lange Sicht Veränderungen bewirken können: in der Wahrnehmung des eigenen Lebens, aber auch in der Wahrnehmung der Welt. Diese Praktiken sind nicht neu, sondern vielmehr "ein Destillat dessen, was sich in zahlreichen Traditionen bewährt hat".

Es geht nicht um Perfektion

Immer wieder betonen Anderson und Nadel, dass es nicht um Perfektion geht, sondern dass jede Frau "genug" ist, genauso wie sie ist. Die Prinzipien, wie etwa Aufrichtigkeit, Akzeptanz, Mut, Vertrauen, Demut, Frieden, Liebe, Freude oder Güte, regen zu einem ehrlichen Umgang mit sich selbst und anderen Menschen an, richten aber auch den Fokus auf Dinge, die man mit eigenen Mitteln verändern kann.

Diese Anleitung zu mehr Achtsamkeit erinnert ein wenig an den psychotherapeutischen Ansatz der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) mit ihrer Erarbeitung von Maßnahmen, die für inneres Gleichgewicht sorgen. Folgerichtig endet jede Schilderung der Praktiken mit einer sogenannten Affirmation: "Was auch immer geschieht, tief im Inneren weiß ich, dass ich gut bin." Dies mag man als "esoterisch" abtun – im Endeffekt sind diese Affirmationen aber genau, was das Wort meint: bestärkend für die Leserin.

Wir ist ein Text, der Zeit brauchen wird, um wirken zu können, aber auch, um sich auf die Möglichkeit einer neuen weiblichen Gemeinschaft einzulassen: "Stell dir eine Schwesternschaft vor ..." (Julia Sattler aus London, 12.3.2017)