Es gibt immer Kür und Pflicht. Manchmal lässt sich beides zusammenführen. Und manchmal ist das mehr als sinnvoll. Etwa dann, wenn Robert Fritz fragt, ob ich plemplem sei: Robert Fritz ist Arzt. Sportmediziner. Kopf und Herz der "Sportordination". Er ist Triathlet, Marathonläufer, Mountainbiker und wasweißdennichnochalles und kann nachvollziehen, dass man als Lauf- und Ausdauersportjunkie mitunter Dinge wider besseren Wissens tun will. Für meinen Stunt von vor ein paar Wochen gab es trotzdem einen Rüffel: Ich war halbkrank knapp 29 Kilometer gelaufen. "Eh locker" sagte ich. "Nicht lustig," sagte der Arzt. Und bestellte mich zu sich.

Foto: Thomas Rottenberg

Mit Fritz bin ich seit Jahren regelmäßig in Kontakt: Ich greife gerne auf seine Expertise zurück. Als Stimme der Vernunft. Als Mahner. Als Warner. Fritz ist einer, der das Annähern an und Überschreiten eigener Grenzen kennt und versteht und gerade deshalb glaubwürdig "Aber" und "Obacht" sagen kann: Fritz ist kein Spielverderber – sondern ziemlich genau das Gegenteil davon.

Wenn ich mit Robert Fritz rede, geht es immer um einen zentralen Punkt: Der Arzt erklärt mantraartig, wieso an Vorsorgeuntersuchungen und Risikoabklärung auch und gerade bei Hobbysportlern kein Weg vorbei führt. Zum Schluss fragt er mich dann, wann ich eigentlich das letzte Mal – und ich weiche aus.

Diesmal kam ich ihm nicht aus: Pflicht & Kür, erklärte Fritz, seien fällig. Ohne Wenn & Aber. Die Pflicht: Ein sportmedizinischer Komplett-Check. Auf Herz & Nieren. Und auch sonst so ziemlich alles.

Und die Kür: Ein leistungsdiagnostisches Durchchecken – also eine Standortbestimmung meines derzeitigen Trainingszustandes. Warum das für Hobbysportler sinnvoll ist? Dazu gleich mehr. Zuerst ging es ins Labor. Blutabnahme. Pinkeln. Das Übliche halt.

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Natürlich bin ich kein Arzt. Ganz ahnungslos bin ich aber trotzdem nicht: Dass man sich mit Ausdauersport bei nicht ausgeheilten, nicht diagnostizierten oder nie entdeckten Krankheiten nicht nur nachhaltig schädigen, sondern sogar umbringen kann, weiß ich.

Mein Vorteil: Ich kann und darf meine Inkompetenz hinter Flapsigkeit verstecken.

Der Vorteil des Arztes: Er kann wissenschaftlich erklären, wo ich auch hin will. "Prinzipiell macht eine regelmäßige präventivmedizinische bzw. sportmedizinische Untersuchung für jeden Menschen Sinn. Die häufigsten Erkrankungen unsere Zeit sind Herz-Keislauferkrankungen und Tumorerkrankungen. Laut Statistik Austria verursachten sie 2015 gemeinsam fast sieben von zehn Todesfällen in Österreich. Sie können bei rechtzeitiger Diagnosestellung und Früherkennung häufig verhindert werden. Wer geht aber schon gerne zum Arzt, wenn man sich gesund fühlt? Da liegt genau das Problem. Daher mache ich bei jeder meiner Patientinnen und bei jedem meiner Patienten ein Screening auf diese Erkrankungen bzw. deren auslösende Faktoren. Mittels eines umfassenden Anamnesegesprächs, einer detaillierten Laboruntersuchung, einer Beurteilung des Herz-Kreislaufsystems in Ruhe und unter Belastung. Bei Vorerkrankungen oder bestimmten Beschwerden überprüfen wir die Lungenfunktion, ermitteln die Herzratenvariabilität zur Bestimmung des individuellen Stresslevels oder ich überweise meine Patientinnen und Patienten zu Kollegen zur weiteren Abklärung: Herzultraschall, spezielles Röntgen oder MRT-Untersuchungen, Gastro- oder Koloskopie, ..."

Gemeinsam wird daraus dann eine Botschaft. Fritz fasst sie so zusammen: "Durch eine sportmedizinische Leistungsdiagnostik bekommen Kunden/Patienten nicht nur Sicherheit, dass sie ohne Risiko belastbar sind, sondern sie ersparen sich im Training viele "leere Kilometer", Überlastungen und Frustration. Sport und Training kann so viel Spaß machen. Er ist gesund. Menschen, die sich wenig bewegen, versäumen etwas ganz besonderes: Hohe Lebensqualität und in einem fitten Körper zu stecken."

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Nach dem medizinischen kommt der sportmedizinisch-sportwissenschaftliche Teil. Die – sagen wir mal – Kür: Wenn ich weiß, dass ich so gesund bin, wie ich mich fühle, kann ich theoretisch auch einfach so durch die Gegend rennen. Oder mir aus dem Web, einer Zeitschrift oder einer App einen Trainingsplan holen. Ich werde Fortschritte machen. Am Anfang bestimmt. Vermutlich auch mittelfristig. Aber irgendwann stehe ich an: Die Dosis steigern? Härter trainieren? Den Plan wechseln? Bringt nix. Aus einem einfachen Grund: Das Web, der Laufzeitschriftenredakteur oder die App wissen nix über mich.

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Mit einer Trainingsgruppe, einem Trainer oder einem individuellen Trainingsplan fahre ich also wohl besser: Da gebe und bekomme ich Feedback. Sportwissenschaftliche und didaktische Kompetenz und das Eingehen auf den Kunden vorausgesetzt.

Dennoch: Der bloße Augenschein kann viel – wissenschaftliche Methodik aber noch ein Eitzerl mehr. Sowohl beim Trainingsplan – als auch bei dem, was ihm zugrunde liegt: Meine ganz individuellen, momentanen Leistungsparameter nämlich. Vital- oder Laktatwerte. Schwellen. Formkurven. Lauter so Sachen.

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Hier kommt dann die Sportwissenschaft ins Spiel. In der Sportordination ist es Natalie Mentel, die mich aufs Laufband stellt, mich – gemeinsam mit dem Arzt – verkabelt und mir alle paar Minuten Blut abzapft.

Dazwischen muss ich rennen: Der Anfang ist easy. Schrittgeschwindigkeit. Dann ein Pieks ins Ohr – und das Laufband zieht den Boden unter meinen Füßen weg. Ein bisserl schneller. Pieks. Noch ein bisserl schneller. Pieks… und so weiter. Bis ich nicht mehr noch schneller kann.

Der Vorteil des Bandes: Geschwindigkeit und Dauer sind präzise steuerbar. Trotzdem mache ich Laktattests lieber im Freien. Egal.

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Wichtiger als das Setting ist, was gemessen wird. Extrem – ganz bewusst laienhaft formuliert – misst man hier den Anstieg der Laktatwerte im Blut. Das zeigt den Grad der Belastung des Körpers an – und wo der Körper die nötige Energie gerade abholt: Je länger die Kurve flach ist, umso länger könnte ich gefühlt "ewig" in diesem Tempo unterwegs sein.

Geht die Kurve nach oben und überschreitet bestimmte Grenzen, komme ich vom Ausdauer- in den Auspower-Bereich. Greife irgendwann auf die Notration Kraft und Energie zu. da gilt dann: Weg ist weg. Danach geht nix mehr.

Der Trick lautet, zu wissen, wo sich die jeweiligen Grenzen gerade befinden. Um dann gezielt daran zu arbeiten, die Kurve lange flach zu halten: Mit "dann musst du öfter, mehr und schneller rennen" geht das nicht. Manchmal bewirkt genau das sogar das Gegenteil.

Klingt komplex – und ist es auch: Trainer, Sportwissenschafter oder Mediziner können aber aus diesem Datenmaterial sehr genaue Trainingsempfehlungen machen. Nicht nur für Leistungssportler.

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Für Robert Fritz hat die Kombination von Pflicht und Kür aber noch einen (medizinischen) Vorteil: "Das Schöne an Therapie mit Bewegung gegenüber Therapie mit Medikamenten liegt darin, dass Bewegung Spaß macht. Training ist eines der potentesten Medikamente, nur leider wird es viel zu selten verschrieben. Der Grund: Es lassen sich keine pauschalen Empfehlungen abgeben, wenn ich die Patientin oder den Patienten vorher nicht genau unter Belastung untersucht habe. Diese Untersuchungen benötigen viel Zeit – und werden von den Krankenkassen nicht bezahlt. Es sind auch viele Menschen nicht motiviert, sich zu bewegen. Dann helfen die besten Trainingsempfehlungen nichts. Ich verstehe daher sehr gut, dass viele Kolleginnen und Kollegen zu Medikamenten greifen müssen. Die Kombination aus Training und klassischer Medikation bietet aber den großen Vorteil, dass die Dosis der Medikamente geringer gehalten werden kann als durch Medikamente alleine und damit auch die Nebenwirkungen geringer ausfallen."

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Zugegeben: Billig ist der Spaß nicht. Je nach Paket und Ordination kann man schon in den 300-Euro-Bereich vorstoßen. Und Pflichtversicherungen übernehmen diese Kosten nur in den seltensten Fällen. Nur: Verzichten Sie aus Kostengründen auf das Service der Therme? Lassen Sie Bremsbelag- oder Ölwechsel beim Auto entfallen, um sich "etwas zu ersparen"?

Meine Nichte postete mir früher gerne ein "YOLO", wenn ich zu onkelhaft-erwachsen-vernünftig auftrat. Ihr Yolo- hatte einen ganz anderen Kontext, keine Frage. Doch "You only live once" kann man auch anders lesen. Etwa so, wie es Platzsprecher und Rennarzt beim Berlin-Marathon unmittelbar vor dem Start fast mantraartig wiederholen: "Es gibt 1000 Läufe – aber Sie haben nur diese eine Gesundheit, diesen einen Körper." Und schon sind wir bei Robert Fritz und seinen Kollegen.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber nochmal zur Kür: In den vergangenen Wochen habe ich für meine Verhältnisse Bombenzeiten über 14 und 21 Kilometer hingelegt. Diesen Sonntag hatte ich dann 28k bei der VCM-Winterlaufserie am Plan. Zügig, aber nicht ganz Vollgas. Es ging super – aber die letzten 7 Kilometer waren tough. Weitere 7 hätte ich schwer derblasen. Noch 14 eher gar nicht. Nicht in diesem Tempo.

Mein Trainer Harald Fritz hatte das vorhergesagt: Mein Plan stellte bis jetzt Tempohärte vor Grundlage – und ab jetzt drehen wir am Ausdauerrad.

Harald Fritz kennt mich und meine Lauf-Daten gut. Robert Fritz (die Namensgleichheit ist Zufall) und Natalie Mertel nicht: Die beiden sahen nur die Kurve. Und sagten dennoch vorher, was der Sonntag bewies: "Schnelle kurze Läufe gehen. Aber auf der Volldistanz zerlegt es dich." Dagegen hilft nicht "schneller & härter" – sondern eben das Gegenteil: Langsame, richtig langweilig-langsame ewige Grundlagendauerläufe.

Viel wichtiger als die Kür ist aber die Pflicht: Das medizinische Abchecken, ob das wo "ich will" draufsteht, überhaupt geht. Wegen "Yolo". Auch wenn Robert Fritz das als Arzt ganz anders ausdrücken würde.


Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Untersuchung wurde bezahlt – und wird (hoffentlich) von der privaten Zusatzversicherung erstattet.


Mehr Bilder und Geschichten von Thomas Rottenberg gibt es auf www.derrottenberg.com

(Thomas Rottenberg, 15.3.2017)

Foto: Tessa Čučoriedka Hupkovie