Wien – "Trinken Sie nur Stiegl?", fragt Richterin Minou Aigner die Angeklagte Ilse S. nach ihrer bevorzugten Biermarke. "Nein", antwortet die Pensionistin. "Also nicht auf eine Marke festgelegt?" – "Na ja, nicht falsch verstehen, Schwechater würde ich nicht trinken", schränkt die 72-Jährige ein.

Ihr Problem ist die Entsorgung der leeren Flaschen. Dafür hat sie einen unkonventionellen und nicht ungefährlichen Weg gewählt: Sie schmiss in Wien-Alsergrund die Gebinde aus einem Fenster im fünften Stock auf die Straße.

Autos wurden in Mitleidenschaft gezogen, daher ist sie wegen Sachbeschädigung angeklagt, einmal zerbarst eine Flasche aber auch einen Meter neben einem Kind, daher kommt das Delikt der Gefährdung der körperlichen Sicherheit dazu.

Ein bis zwei Bier

S. bekennt sich unumwunden schuldig: "Es tut mir furchtbar leid!", beteuert sie. "Sind Sie in psychiatrischer Behandlung?", erkundigt sich Aigner. "Ich? Nein, nein!", hört sie als entrüstete Antwort. "Frönen Sie dem Alkohol?" – "Nein! Ich trinke vielleicht manchmal ein bis zwei Bier."

Es ist schwer zu beurteilen, ob das stimmt. Vor neun Jahren sei ihr Mann gestorben, sagt sie, "manchmal kann man das nicht ausblenden. Vielleicht war es ein Kurzschluss." Wäre es so, müssten oft die Funken gesprüht haben – zwischen Oktober 2015 und Juli 2016 flogen die Flaschen schließlich sechs Mal.

"Warum haben Sie das gemacht?" – "Wissen Sie, ich habe einen Lebensgefährten, dessen Frau Alkoholikerin gewesen ist", erzählt die Angeklagte. "Wenn wir Essen gehen, trinken wir etwas. Aber er will nicht, dass ich auch daheim etwas trinke. Und wenn er mich besuchen kommt, haue ich vorher die Flaschen hinaus", lautet das verblüffende Motiv.

Auto einer Richterin getroffen

Ein besonderes Detail des Falles: Eines der beschädigten Autos gehörte einer Richterin des Landesgerichts. Das hat Aigner sogar der vorgesetzten Instanz gemeldet, die sah aber keinen Befangenheitsgrund.

Die geschädigte Richterin hat wiederum einen anderen Richter, ihren Lebensgefährten, beauftragt, die Schadenersatzforderung von 122 Euro zu übermitteln. Frau S. ist bereit, das Geld sofort zu zahlen. Da ihr Kollege aber bereits zurück im Büro ist, ruft ihn Aigner an. Und bekommt die Vollmacht, das Geld für ihn entgegenzunehmen. "Schön, dass er mir vertraut", freut sich Aigner.

Verteidiger Wolfgang Schäfer regt eine Diversion an, die vom Staatsanwalt und der Richterin aber abgelehnt wird. "Das geht aus Präventionsgründen nicht. Wenn das einmal passiert wäre, vielleicht. Aber was glauben Sie, was sich die Leute denken, wenn es für sechs Mal eine Diversion gibt?", begründet Aigner.

Sieben Monate bedingte Haft

Sie entscheidet sich also rechtskräftig für sieben Monate bedingt für die unbescholtene Angeklagte. "Und wenn Sie von ein, zwei Bier schon so enthemmt sein sollten, empfehle ich Ihnen, auch auf die zu verzichten", ermahnt sie S. noch. Die verabschiedet sich mit den Worten "Vielen tausend Dank!" und einem Handschlag von ihr. (Michael Möseneder, 14.3.2017)