Lastenräder prägen bereits das Ortsbild vieler Innenstädte. Einschlägige City-Logistik-Projekte schießen wie Pilze aus dem Boden.

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Wien – "Der Fahrradboom ergreift die ganze Welt. Die Vorteile von Lastenrädern und der damit einhergehenden Logistik muss – und wird – den ultimativen Antrieb geben, um ihren permanenten Platz im modernen urbanen Stadtumfeld zu zementieren." Mikael Colville-Andersen berät als Chef der Copenhagenize Design Company Städte von São Paulo bis Bangkok in puncto Fahrradfreundlichkeit. Der dänische Städteplaner lässt keine Zweifel daran, wie er die Rolle von Lastenfahrrädern in den Städten der Zukunft verortet.

Colville-Andersen ist Keynote-Speaker der Europäischen Fahrradlogistikkonferenz, die, veranstaltet von der European Cycle Logistics Federation (ECLF) und unterstützt von der Stadt Wien, am 20. und 21. März im Wiener Museumsquartier stattfindet. Wurden Lastenradkurierdienste lange Zeit als kaum wirtschaftlich orientierte Ökoidealisten belächelt, ändert sich dieses Image nun rasend schnell.

"Als wir vor wenigen Jahren starteten, ging es vor allem um CO2-Emissionen und Umweltschutz. Mittlerweile ist daraus aber ein kommerzieller Druck geworden", sagt Nick Blake vom in Zürich ansässigen Unternehmen ImagineCargo, der ebenfalls auf der Konferenz sprechen wird. ImagineCargo kombiniert Bahn- mit Lastenradtransport und ist mittlerweile in 26 Städten, großteils in der Schweiz und in Deutschland, vertreten.

Instant Delivery

Die Diskussionen über Feinstaub- und Stickoxidemissionen im Gefolge des VW-Skandals könne zu Verboten von Diesel-Lkws in den Innenstädten führen. Zudem gehe der Trend in Richtung Instant Delivery, also Lieferung innerhalb weniger Stunden, was mit Lieferwägen, die die Straßen verstopfen, katastrophale Auswirkungen hätte, erläutert der Unternehmer.

"Wir haben in den letzten zwölf Monaten eine große Veränderung in den Anfragen bemerkt. Früher waren es lokale Unternehmen, die sich um die Umwelt Sorgen gemacht haben. Heute reden wir von internationalen Konzernen", sagt Blake.

In Österreich erlitt ImagineCargo einen Rückschlag, da der ÖBB-Bahnkurierpaketservice eingestellt wurde. Hier ist im Moment nur Wien an das ImagineCargo-Netz angeschlossen. Blake schwebt aber ohnehin ein Transport in größerem Stil vor, der nicht in Paketen, sondern in branchenkompatiblen Europaletten denkt.

City-Logistik per Rad

In den Städten Europas schießen die Lastenradprojekte wie Pilze aus dem Boden. Große Logistikdienstleister sind längst involviert. Bereits seit 2015 betreibt UPS etwa in Hamburg vier Containerstandorte, von wo aus ein Großteil der Innenstadt unter Einsatz von Lastenrädern beliefert wird. "Die Container werden in unserer Niederlassung jeden Morgen beladen und mit Lkws in die Stadt abgesetzt. Dort warten die Mitarbeiter mit Fahrrädern und verladen die Pakete", erklärt Rainer Kiehl, Projektmanager des Hamburger City-Logistik-Projekts von UPS.

Elf Räder und durchschnittlich 13 Mitarbeiter sind an den Stationen im Einsatz. Die Bewohner scheinen das Projekt gut anzunehmen. Kiehl: "Bis zu zehn Lkws parken nun nicht mehr auf dem Bürgersteig, in Busspuren oder in zweiter Reihe. Offensichtlich funktioniert es. Bei uns ist nie eine Beschwerde angekommen."

Nachdem nicht alle Anbieter ihre Container in der Stadt abladen können, kann das Projekt in dieser Form nicht zur fixen Einrichtung werden. Bei einem Berliner Projekt teilen sich bereits mehrere Anbieter die "Minihubs", von denen aus eine Auslieferung organisiert wird.

UPS ist neben Hamburg und drei weiteren deutschen Städten bereits in der US-Stadt Portland und in Kürze auch in der irischen Hauptstadt Dublin mit ähnlichen Projekten vertreten. Noch heuer werden einige dazukommen: Kiehl sagt, dass er mit weiteren 20 Städten im Gespräch ist. Auch UPS wird anlässlich seines Wien-Engagements auf der Lastenradkonferenz vertreten sein – hier ist ein Lastenradprojekt vor kurzem angelaufen.

Erster Zugang

Der Boom der Fahrradlogistik wird von einer Reihe wissenschaftlicher Studien begleitet. Christian Rudolph vom Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat mit seinem Kollegen Johannes Gruber eine Studie zum Einsatz von Fahrrädern im Wirtschaftsverkehr (Wiv-Rad) im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur erstellt, die ebenfalls in Wien präsentiert wird.

Auf Basis von Gesprächen mit 45 Experten wurden unter anderem Empfehlungen für die öffentliche Hand erarbeitet.

"Noch gibt es viele Zugangsängste und Ressentiments. Wir finden deshalb jene Projekte sehr wichtig, bei denen Testangebote geschaffen werden", gibt Rudolph ein Beispiel. In Bremen und München wurden etwa Fahrräder angeschafft und Gewerbetreibenden für einige Monate zur Verfügung gestellt. "Die Räder sind mitunter teuer, und ihr Erwerb ist für Kleinbetriebe ein Risiko. Die Testfahrzeuge sind eine sinnvolle Art, einen ersten Zugang zu gewähren."

Lieferung in Fußgängerzonen

Selbstverständlich ist auch Infrastruktur ein Thema: Maßnahmen wie breitere Radwege und direktere Verbindungen müssten bei Planungen mitgedacht werden. Zum Lieferverkehr in Fußgängerzonen verweist Rudolph auf das Beispiel Bozen in Südtirol: "Motorisierter Verkehr ist hier nur stundenweise erlaubt und wird strikt überwacht. Das hat dazu geführt, dass Gewerbetreibende vermehrt Lastenräder nutzen."

Wie auch der öffentliche Dienst vom "Wirtschaftsrad" profitieren kann, untersucht ein weiteres Projekt Rudolphs. Im Projekt TrasHH untersucht er Prozesse und Arbeitsabläufe der Stadtreinigung Hamburg auf einen möglichen Einsatz von Fahrrädern.

Natürlich hat der Lastenradboom noch die eine oder andere Akzeptanzhürde zu überwinden. Nick Blake von ImagineCargo hat ein gutes Beispiel parat: "In Graz ist es nicht möglich, per Lastenrad die Innenstadt zu bedienen. Es wäre aber möglich, das Lastenrad per Lieferwagen zu liefern." (Alois Pumhösel, 19.3.2017)